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LeserInnenbriefe

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Als ginge es um Bordsteinkanten

betr.: „Unsere heilige Mitte“, taz vom 18. 12. 15

Guter Artikel! Das Gerede von der Mitte tut ja schon lange weh. Ich fasse zusammen: Wir wollen eine freie Gesellschaft, wo jeder leben kann wie er will. Stößt sich dann einer am andern, mag der eine gegenüber dem andern an alles mögliche appellieren: an Sympathie, Vernunft, „Werte“ von mir aus, oder wenn’s nicht anders geht ans Rechtssystem – aber doch nicht an eine inhaltsleere „gesellschaftliche Mitte“, die nur nach „Masse“ riecht und mit dem Abweichungszeigefinger droht!

Ich würde mir nun wünschen, die Mitte-Ideologie würde auch konkret desavouiert, und denke dabei an die angebliche „Inklusion“. Alles mögliche wird damit bezeichnet und verkauft, unter anderem: die Störung bis Zerstörung von Strukturen und Initiativen für Menschen mit Behinderung zum Beispiel in der Bildung (Sonderschulen). Auch dort heißt es: „Menschen mit Behinderung gehören in die Mitte der Gesellschaft.“ – Ups! Da ist sie wieder!

Damit Menschen mit Behinderung in die heilige Mitte der Gesellschaft kommen können, spricht man von Barrierefreiheit, als ginge es um Bordsteinkanten oder um für blinde Menschen nachgerüstete Ampeln. Die „Mitte“ wäre hier also der öffentliche Straßenverkehr: Und damit vergleicht man nun menschliche Erlebnis- und Tätigkeitsfelder wie Schule, Bildung, Arbeitswelt …Es scheint heute erhöhte Vorsicht geboten zu sein, wenn räumliche Metaphern (das ist ja bei „Mitte“ wie bei „Inklusion“ der Fall, anders als zum Beispiel bei „Teilhabe“) auf Menschen angewendet werden. Wo der Mensch (durch Sprache) als rein räumlicher Gegenstand gehandelt wird, wird er seines „Geistig-Seelischen“ (wie Anthroposophen sagen würden) beraubt, oder auch: seiner selbstbestimmenden Instanz – die unter anderem darüber befindet, wo für ihn selbst „Mitte“ ist. MARTIN CUNO, Siegen

„Was machen Sie hier eigentlich?“

betr.: „Sorge wegen neuem rechtem Terror“, taz vom 18. 12. 15

Der Wartebereich in einem Bahnhof – gefüllt bis auf den letzten Platz mit Reisenden und ihren Koffern, Flüchtlingsfamilien mit Plastiksäcken, dazwischen Obdachlose. Auf einer Bank sitzt eine ältere Dame, vor ihren Knien der Rollkoffer und eine Reisetasche; neben ihr ein älterer gutgekleideter Herr, vor seinen Knien der Rollkoffer und eine Reisetasche. Unvermittelt dreht die Dame ihren Kopf und fragt den Herrn: „Was machen Sie eigentlich hier?“ Der Mann: „Wie bitte?“, in akzentfreiem Deutsch. Sie: „Was wollen Sie hier als Ausländer?“ Er: „Ich bin Deutscher.“ Sie: „Nein, Sie sind schwarz. Hitler hätte Sie vergasen lassen.“ Der reisende Herr starrt sie kurz an, steht auf und geht. Die Bahnhofspolizei schaut diskret weg. Offen zutage tretender faschistischer Rassismus. Wenn dann der Chef des NRW-Verfassungsschutzes, Herr B. Freier, von „gravierenden Fehlern und Versäumnissen“ spricht, gleicht dies einer Verhöhnung der Opfer rechter Gewalt und faschistischen Gedankenguts.

Herr Freier kann keinen aufgeklärten Bürger Glauben machen, dass dem Personal des Verfassungsschutzes seit Jahrzehnten kapitale Fehler bei der Beobachtung und Einschätzung der „rechten Landschaft“ unterlaufen. In diesem Fall müsste man bei allen Diensten Inkompetenz vermuten und geistige Beschränkung bei den Mitarbeitern oder: Es ist politischer Wille, den „Rand rechts von der CSU“ von der Beobachtung und Bewertung rechter Straftaten auszunehmen. Dann allerdings wäre der Untersuchungsausschuss eine Farce. Ilona Böhm-Ahrens, Bremen

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