LeserInnenbriefe:
taz.die tageszeitung | Rudi-Dutschke-Str. 23 | 10969 Berlin
briefe@taz.de | www.taz.de/Zeitung
Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von Leserbriefen vor.
Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Hinterfragen ist notwendig
betr.: „Pathos der Verschlechterung“, taz vom 22. 9. 15
Der im Artikel beklagte Miserabilismus beruht zu großen Teilen darauf, dass heutige Politiker überwiegend das Gegenteil von dem tun, was sie propagieren. Einfaches Beispiel von Tausenden: Seehofer und sein Verbraucherinformationsgesetz. Hinterfragen ist also notwendig! Positivdenkender Vertrauensvorschuss hingegen nicht.
JOHANNES BRÉE, Ahrensburgl
Verbales Modelabel
betr.: „Pathos der Verschlechterung“, taz vom 22. 9. 15
Da tuckert ein neues verbales Modelabel vorbei, Isolde Charim springt schnell auf. Bleibt man journalistisch so up-to-date? Gesellschaftsanalytisch gesteht, wer von „Miserabilismus“ redet, eher ein, von Dialektik nichts zu verstehen: Wer sich ein wenig in Benjamin oder Kracauer, Brecht oder Karel Kosik, Adorno oder die Deutsche Ideologie vertieft, erfährt eine Menge über angewandte Dialektik. Zum Beispiel, die einfache Variante, die taz: Sie hat sich verändert im Laufe der Jahre, ist in vielfacher Hinsicht anders, aber sie ist auch die taz geblieben, kollektiver Ansatz ist noch vorhanden, widerborstige Schreibe rudimentär auch noch.
Was Sie, liebe Frau Charim, als „Pathos der Verschlechterung“ beklagen, bezieht sich allerdings auf den Umgang mit komplexeren, ja unlösbaren Widersprüchen, ein Beispiel: Eine Patientin von mir schildert ihren Partner als ihr und dem gemeinsamen Kind gegenüber liebevoll, einfühlsam, aber er schlägt sie, säuft und schlägt nun auch das Kind: Sie hat sich, trotz seines Flehens und seiner Blumen und seines mitleidheischenden Augenaufschlags, getrennt und ihn angezeigt. Unlösbar.
Und Frau Merkel? Ihr liebenswertes Motiv, Ihr Wunsch, liebe Isolde Charim, jemand möge diese neoliberale Maschine, die alles Menschliche warenförmig erstarren lässt, stoppen, und könnte nicht die Kanzlerin …? ist anrührend. Aber ein paar empathische Worte und Gesten, selbst wenn sie authentisch sein sollten, ändern keine neoliberale und Austeritätspolitik mit zahllosen Opfern, keine im Kern militante Haltung, kein Desinteresse am Elend von Millionen Menschen hier und anderswo, keine Abschottungspolitik mit Zehntausenden Toten, keine von der Bundeskanzlern betriebene Entdemokratisierung, und nicht ihre Begeisterung für TTIP und Ceta mit allen absehbar unerträglichen Folgen … Egal, wie viele Flüchtlingskinder sie streichelt, nicht zuletzt ihre Politik hat diese als Kollateralschäden erst hierher getrieben. Man muss diese Dialektik nicht aushalten, man muss sie benennen und bekämpfen – und das ist keine Miesmacherei, sondern politische Notwendigkeit.
GÜNTER REXILIUS, Mönchengladbach
Nachhaltige Kritik fehlt
betr.: „Pathos der Verschlechterung“, taz vom 22. 9. 15
Neben den großen Worten über die Verkommenheit der linken Generaltugend der sauberen Kritik zu ihrer Schwundstufe, zum ritualisierten Miserabilismus, enthalten die Ausführungen eigentlich zu wenige konkrete Beispiele, nämlich nur 1 unausgeführtes + 0. Besser wäre mehr Aufklärung und weniger Wortgeklingel.
So gerät die Autorin unversehens selber unter einen Verdacht, den der antilinken wortverliebten Miesepeterei. Die ist ja hier und da en vogue. Bisher aber nicht in der taz. Sollte es die Autorin wirklich so gut wissen, wie ihr Beitrag vorgibt, bliebe ihr ja Zeit für eine weniger süffisante und konkretere Fortsetzung, damit sie knapp überm Boulevard bleibt. Das funktioniert aber nur bei nachhaltiger Kritik. KLAUS-PETER LEHMANN, Augsburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen