■ Lesen und Schreiben: „Analphabet – das wäre furchtbar“
Eberhard Pfeiffer, 68 Jahre, Rentner
In Deutschland gibt's doch Schulpflicht. Woher kommen dann die ganzen Analphabeten? Wenn ich früher nicht in die Schule gegangen wäre, hätte mich die Polizei geholt und hingebracht. Aber Schwierigkeiten im Alltag hat man als Analphabet nicht. Es gibt genug Leute, die einem helfen. Man braucht doch bloß zu sagen: „Brille vergessen“ – dumm sind die ja nicht.
Michael Gürtler, 37 Jahre, Maler
Analphabet – das wäre furchtbar. Da würd' ich ja wie ein Affe hier rumrennen. Die Schwierigkeiten gehen bei der Arbeitssuche los. Ich könnte kein Bewerbungsschreiben aufsetzen, und wenn ich drei Kreuze unter den Arbeitsvertrag mache, würde mich doch jeder gleich rausschmeißen. Analphabeten sind ja meistens solche, die behindert sind. Ich würde sofort in eine Schule gehen und das lernen.
Michael Schmidt, 48 Jahre, Busfahrer
Als Busfahrer muß ich ja schreiben können – nicht viel, aber immerhin. Außerdem muß ich Fahrpläne lesen. Auf einer Trauminsel wär' das nicht schlecht, aber in unserer entwickelten Gesellschaft gehören Lesen und Schreiben absolut dazu. Auf Ämtern wäre man unbeholfen, auf andere Leute angewiesen – da würde man doch ausgelacht werden. Ich würde mir da einen Beistand mitnehmen.
Heide Harder, 52 Jahre, Lehrerin
Als Analphabet könnte ich naiv ganzheitlich Dinge erkennen, zum Beispiel eine Sparkasse. Ich könnte vorspielen, daß ich lesen und schreiben kann, mich so verhalten wie andere Leute, aber irgendwann würde es klemmen. Mit meiner Sehbehinderung könnte ich Leute bitten, mir alles vorzulesen. Ich wäre sauer, wenn ich einen Liebesbrief nicht lesen könnte.
Budi Tandu, 26 Jahre, Student
Ohne Buchstaben zu leben wäre für mich unmöglich. Ich verbringe meine ganze Zeit mit Lesen und Fernsehen. Bei uns in Korea gibt es viele Leute auf dem Land, die ohne Buchstaben leben. Sie müssen sich nicht über alles den Kopf zerbrechen, aber mir bringt das Spaß. Als Analphabet kann man hier fast nichts machen. Wenn ich nicht schreiben könnte, würde ich das aber zugeben und die Leute um Hilfe bitten.
Petra Weimann, 27 Jahre, zur Zeit arbeitslos
Ich kann mir nur schwer vorstellen, nicht lesen und schreiben zu können. Das muß ziemlich hart sein. Man weiß wahrscheinlich, wo man hingehen muß, und hat seine Arbeit, die ohne Lesen und Schreiben möglich ist. Auf Ämtern wäre man völlig hilflos. Ich würde das nicht zugeben. Ich hab' mal einen interessanten Film darüber gesehen, mit vielen Tricks zum Verbergen dieses Handikaps.
Umfrage: Nils Klawitter
Fotos: Conny Grosch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen