„Leseland DDR zusammengebrochen“

■ Aus für den 'Morgen‘/ Vom LDPD-Zentralorgan zu Springer zur Pleite

Berlin (taz) — „Und, noch mehr Beileidstelegramme gekommen?“ — Galgenhumor auf den Redaktionsetagen des 'Morgen‘ in der Ostberliner Glinkastraße. Seit gestern gibt es für die Tageszeitung kein Morgen mehr. Der Springer-Verlag, seit Mai letzten Jahres Mehrheitseigner des Blattes, stellte deren Erscheinen ein.

Drei Jahre wollte Springer der Ex-LDPD-Postille ursprünglich geben, um ihren Blockpfeifenhabitus abzustreifen und sich auf dem ostdeutschen Medienmarkt zu etablieren. Der Verlag kaufte sich den ehemaligen 'Spiegel‘-Mann Degler als Chefredakteur, zwei weitere West-Journalisten und ließ sie machen. „Ohne ein einziges Mal inhaltlich zu intervenieren“, räumen die 'Morgen‘-Leute ein — obwohl sich das Blatt zu einer durchaus kritischen Zeitung entwickelte. Doch fürs Experimentieren ließ man ihnen nur 13 Monate.

Trotz „hervorragender journalistischer Leistungen“ sei es nicht gelungen, dem Blatt „eine verantwortbare wirtschaftliche Basis zu geben“, begründete der Verlag seine Entscheidung. Dafür hätte es aber auch „entschiedener verlegerischer Aktivitäten bedurft“, hält ihm der Betriebsrat des 'Morgen‘ entgegen.

„Bereits bewilligte Mittel für Werbezwecke wurden nicht freigegeben. Die Anzeigen-Generalvertretung des Springer-Verlags durfte keine Anzeigen für den 'Morgen‘ schalten“, wirft die Mitarbeitervertretung dem Konzern vor. Außerdem habe Springer — trotz massiver Probleme mit der Post — zwar Zeitungen anderer Verlage mitvertrieben, den 'Morgen‘ jedoch nicht. Und die Post ist „mitbeteiligt am Mord dieses Blattes“, wird in der Glinkastraße geschimpft. Eine Umfrage bei 6.000 LeserInnen ergab, daß nur fünf Prozent ihre Zeitung regelmäßig bekommen.

Einer „Verschwörungstheorie“ — daß der Verlag das LDPD-Organ nur gekauft habe, um es anschließend eingehen zu lassen oder es zu beseitigen, weil es nicht auf Linie war — hängt man in der Redaktion nicht an. Springer habe „richtig Kohleprobleme“. Der Boulevard-Versuch 'Claro‘ auf dem spanischen Markt läuft schlecht. Im Osten soll 'Bild‘ im zweiten Quartal nur noch 400.000er-Auflage haben (ehemals über eine Million). Und der Umzug des Springer-Flaggschiffs 'Welt‘ nach Berlin wird Millionen verschlingen. Da bleibt für eine Zeitung in der Probephase offenbar kein Geld mehr. Wie hoch momentan die Auflage ist, weiß niemand beim 'Morgen‘ so genau. Vor zwei Monaten erzählte Springer dem 'Spiegel‘, sie läge bei 45.000. „Aber dann kann sie seitdem nicht“, rechnen die in der Glinkastraße nach, „auf 25.000 gefallen sein“, wie der Verlag vorgestern behauptete. Denn daß monatlich 2.000 AbonnentInnen auf den 'Morgen‘ verzichten, weiß man in der Redaktion.

„Das Leseland DDR ist zusammengebrochen.“ Auch damit hängt der Niedergang des 'Morgen‘ zusammen, glauben die, die ihre noch nicht abgenutzten Redaktionsstuben schon wieder verlassen müssen. „Wir haben sicherlich die Stimmung im Osten ins Blatt gebracht. Aber der Diskurs, den wir wollten, entspricht nicht dem Lebensgefühl der hiesigen LeserInnen.“ Bascha Mika