Leiter einer neuen Sekundarschule: "Sinnvolles Konzept für alle Kinder"

In Kreuzberg fusionieren die Eberhard-Klein- und die Carl-Friedrich-Zelter-Hauptschule zu einer Sekundarschule. Eine Chance für Schule und SchülerInnen, meint der künftige Leiter Bernd Böttig.

taz: Herr Böttig, sind Sie ein Fan der Schulreform?

Bernd Böttig: Ja, ich bin froh über die Reform. Wir waren 1995 die erste Integrierte Haupt- und Realschule in Berlin. Von den Eltern wurden wir aber als Hauptschule angesehen. Dadurch sind die Anmeldezahlen - wie an allen Hauptschulen - immer mehr zurückgegangen. Schüler mit Realschulempfehlung haben wir kaum noch. Für deutsche Eltern war unser Standort überhaupt nicht mehr attraktiv. Zudem gehöre ich zu den Hauptschulleitern, die seit Jahren fordern, dass diese Schulform abgeschafft wird. Wenn nur noch 5 Prozent eines Jahrgangs sich freiwillig für diesen Schultyp entscheiden und der dann alle bildungspolitischen Probleme der Stadt lösen soll, kann das nicht funktionieren.

Bernd Böttig, 61, bislang Leiter der Eberhard-Klein-Hauptschule an der Skalitzer Straße, wird künftig Leiter der Sekundarschule Oberbaumbrücke am selben Standort. Er ist dienstältester Schulleiter Kreuzbergs.

Die derzeit laufende Oberschul-Anmeldephase ist ein erster Prüfstein für die Schulreform. Zum ersten Mal können Eltern ihre Kinder nämlich an den Sekundarschulen anmelden. So heißt die neue integrierte Oberschulform, zu der Haupt-, Real- und Gesamtschulen zusammengefasst werden. Außer ihnen gibt es in Berlin ab dem kommenden Schuljahr nur noch Gymnasien und Sonderschulen.

Den Schulen fordert die Umstellung im laufenden Betrieb viel ab. Sie müssen ihre höheren Klassen nach dem alten Schulmodell weiterlaufen lassen, Kollegien müssen zusammenwachsen, der obligatorische Ganztagsbetrieb muss aufgebaut werden, damit der Start der Sekundarschule nach den Sommerferien klappt. (awi)

Und Sie hoffen, dass die Reform an dieser Schülerzusammensetzung etwas ändert?

Davon gehe ich aus. Als Sekundarschule hat unser Standort an der Skalitzer Straße neue Chancen. Das alte Kreuzberg 36 war immer bildungspolitisch benachteiligt. Ich habe 1977 hier als Lehrer angefangen. Damals gab es hier drei Sonderschulen, zwei Hauptschulen und eine Realschule. Gymnasien oder Gesamtschulen gab und gibt es bis heute es nur im anderen Teilbezirk, dem alten Kreuzberg 61. Das hat die Schülerbewegung hier seit Jahrzehnten bestimmt. Gute Schüler verließen diesen Teil des Bezirks. Sinn der Schulreform soll für unsere Schule deshalb sein, dass die Kinder, die hier wohnen, auch hier zur Oberschule gehen. Wir wollen ein sinnvolles Schulkonzept für alle diese Kinder machen.

Das ist Ihr Ziel?

Ja. Unsere Sekundarschule wird ja auch eine Oberstufe bekommen. Wir haben den Gymnasien dabei voraus, dass man hier das Abitur nach 13 Jahren machen kann. Bei unseren Informationsveranstaltungen an den umliegenden Grundschulen haben wir gemerkt, dass die Eltern ein enormes Interesse an der neuen Schulform haben. Auch Eltern guter Schüler, die meinen, dass das zwölfjährige Abitur für ihr Kind nicht das richtige ist. Ich bin zuversichtlich, dass wir da eine neue Klientel gewinnen. Wir hatten schon in den ersten Tagen der Anmeldefrist mehr Anmeldungen als sonst.

Was wird sich in der Sekundarschule noch ändern?

Wir werden den Ganztagsbetrieb verstärken. Unsere Schüler können bereits jetzt bis 15.30 Uhr in der Schule bleiben, künftig werden wir einen gebundenen Ganztagsbetrieb aufbauen. Wir werden die Zusammenarbeit mit den Grundschulen ausbauen mit dem Ziel, dass von dort im besten Fall ganze Klassen zu uns wechseln und nicht immer wieder Kinder auseinandergerissen und auf alle möglichen Schulen verteilt werden. Ich bin auch ein Fan des dualen Lernens, das an den Sekundarschulen künftig Praxiserfahrung bieten soll. Wir machen ähnliche Praxisprojekte schon sehr lange, um Schülern, die keinen Abschluss schaffen und damit für Ausbildungen kaum infrage kommen, trotzdem eine Möglichkeit zu geben, in die Arbeitswelt zu kommen.

Wie sieht es bislang bei Ihnen aus mit den Schulabschlüssen?

Da liegen wir nicht schlecht: 80 Prozent der Schüler, die hier anfangen, machen einen Abschluss. Und obwohl wir wenig realschulempfohlene Schüler haben, haben von den etwa 70 Abgängern des letzten Jahrgangs 16 den Mittleren Schulabschluss (MSA) geschafft. Das sind über 20 Prozent. Zwei haben sogar den Notendurchschnitt erreicht, mit dem sie in die gymnasiale Oberstufe wechseln können. Das ist für eine Hauptschule ein gutes Ergebnis.

Fusionieren mit Ihrer Schule und der Zelter auch unterschiedliche Schulkulturen? Die Zelter-Schule gilt als sehr streng, morgens wird kontrolliert, ob jemand zu spät kommt.

Das tun wir auch! Wir gehen sogar noch weiter: Wir schließen die Schule um acht Uhr ab, wer zu spät kommt, kann dann erst ab der zweiten Stunde am Unterricht teilnehmen. Ich kann denen, die pünktlich kommen, nicht die Störungen zumuten, die durch Zuspätkommer verursacht werden. Sie haben ein Recht auf ungestörten Unterricht. Der Vorgänger des jetzigen Schulleiters der Zelterschule galt immer als besonders streng - ich glaube, der Ruf hängt der Schule noch nach. Wenn wir als Schulleitungen oder Kollegien heute zusammenkommen, stellen wir fest, dass wir nicht weit voneinander entfernt sind.

Auch Ihre Schule hat mit einem schlechten Ruf zu kämpfen.

Den haben wir nur bei Leuten, die unsere Schule nicht kennen. Viele ehemalige Schüler melden ihre Kinder bei uns an. Auch die Schulinspektion ist bei uns zu einem guten Ergebnis gekommen. Sie hat festgestellt, dass Schüler, Eltern und Lehrer hier zufrieden sind, dass es ganz wenige Störungen im Unterricht gibt. Das ist ein gutes Zeichen: Denn wenn man seine Lehrer nicht mag, nutzt man solche Gelegenheiten, um sie in die Pfanne zu hauen. Wir haben diesen schlechten Ruf vor allem deshalb, weil hier viele Kinder nichtdeutscher Herkunft sind. Ich bin aber nicht der Meinung, dass die Qualität einer Schule davon abhängt. Es kommt darauf an, dass Kinder sich wohlfühlen und Lehrer haben, mit denen sie gut zurechtkommen.

Wie geht so ein Umgestaltungsprozess im laufenden Schulbetrieb? Wie viel Arbeit kostet das Sie und das Kollegium?

Wir haben spaßeshalber schon davon gesprochen, ob wir hier in der Schule auch Wohnung nehmen. Aber im Ernst: Ich möchte, dass die neue Schule einen optimalen Start hat. Zum Beispiel sollen die neuen siebten Klassen hier in dem schön renovierten Schulgebäude anfangen. Deshalb quartieren wir im nächsten Schuljahr unsere Zehnten in ein anderes Schulgebäude um.

Die Lehrer müssen pendeln?

Wir werden auch da ein bisschen anders verfahren als sonst: Normalerweise haben bei uns die ehemaligen Lehrer der zehnten die neuen siebten Klassen übernommen. Jetzt gucken wir: Wenn ein Lehrer nur noch zwei Jahre da ist, hat es keinen Sinn, ihn in die Siebte zu stecken. Er kann die künftige Zehnte unterrichten. Wenn man zwei Schulen zusammenlegt, kann man eben nicht einfach so weitermachen wie bisher, da muss man schon ein bisschen umschichten. Natürlich ist das viel Arbeit. Aber wenn man so eine Reform will, muss man sie schnell machen.

Das hört sich an, als machte es Ihnen richtig Spaß.

Ich gehe nicht ungern in die Schule - lieber jedenfalls als als Schüler.

Wo waren Sie denn Schüler?

Zuerst am Niederrhein, dann in Baden-Württemberg. Dort habe ich auch vor 30 Jahren als Lehrer angefangen.

Da, wo viele Lehrer gern hinwollen?

Nach kurzer Zeit in Berlin wäre ich nicht mehr zurückgegangen. Das war mir zu langweilig. Hier dagegen war mir noch keinen Tag langweilig - was nicht heißen soll, dass es immer lustig ist. Das Wichtigste für einen Lehrer ist: Man muss seine Schüler mögen. Dann kann man in der Regel davon ausgehen, dass die einen auch mögen. Und dann läuft die Sache. Natürlich gibt es Kinder, die Probleme machen. Aber so ist es nun mal. Eine Schule ist für die Schüler, die sie übernimmt, verantwortlich. Und die Hauptschulen waren Sammelbecken für die, mit denen die anderen Schulen nicht klarkamen. Wir mussten uns immer überlegen, was wir mit diesen Schülern machen, auch wenn sie uns nicht passten. In dieser Hinsicht waren die Hauptschulen immer die kreativsten Oberschulen der Stadt. Das kommt uns nun zugute.

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