: Leise starten laut
■ Heute in der Bürgerschaft: Streit über die Leitlinien der Luftverkehrspolitik und künftige Lärm- und Luftbelastung Von Heike Haarhoff
Fliegen ist's Schönste – finden Wirtschaftsbehörde, Flughafen Hamburg GmbH, CDU und Teile der SPD. Daher werden sie heute bei der Bürgerschafts-Debatte über die „Leitlinien für eine norddeutsche Luftverkehrspolitik“ altbekannte Argumente hervorkramen, die für den Standort Hamburg jede verkehrs- und wirtschaftspolitisch fragwürdige, flächenfressende Landschaftszerstörung rechtfertigen.
UmweltschützerInnen, AnwohnerInnen und GAL werden dagegen- halten und statt unnötigem Flächenfraß und zusätzlicher Lärm- sowie CO2-Belastung Vermeidung bzw. Standort-Verlagerung der Flüge, Einfrieren der Flugbewegungen und höhere Kerosin-Steuern verlangen.
Die „Leitlinien für eine norddeutsche Luftverkehrspolitik“, die die Wirtschafts- und Verkehrsminister der Norddeutschen Küstenländer als Grundlage künftiger Planungen am 12. Juni 1995 beschlossen haben, könnten jedoch – sollte der Hamburger Senat ihren „empfehlenden Charakter“ ernst nehmen – den Schaden begrenzen.
Zwar prognostiziert die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) bis zum Jahr 2000 den Anstieg der Passagierzahl in Hamburg von 7,6 (1994) auf 10,1 Millionen, und die der Flugbewegungen von 143.000 (1994) auf 174.000. Aber der Flughafen-Ausbau, so die Leitlinien, ist deswegen nicht zwingend: Die Auslastung des Stadtflughafens (1994: 68 Prozent) wäre auch im Jahr 2000 mit geschätzten 83 Prozent noch nicht erschöpft. Sollte die Infrastruktur dennoch überlastet sein, so der Rat, könnten Teile der Allgemeinen Luftfahrt verlagert werden. „Aufgrund der Umweltsituation zur Entlastung des Flughafens“ sei es ratsam, „Kooperationen mit den Umlandflugplätzen mittelfristig herbeizuführen“: „Der Flugplatz Lübeck bietet sich hier an.“ Kiel und Parchim aber finden wegen der Entfernung keine Akzeptanz.
Auch zum Schadstoff-Ausstoß wird Position bezogen: Zwischen 1987 und 2005 würden die Emissionen des Luftverkehrs in Deutschland je nach Giftstoff um 25 bis 40 Prozent steigen: „Diese Emissionen werden als besonders problematisch angesehen, weil sie auch in größeren Höhen abgegeben werden.“ Der Einsatz schadstoffärmerer Flugzeuge wird gefordert. Auch ließen sich die Verkehrsminister – geradezu revolutionär – dazu hinreißen, „die sozialen Kosten der Umweltbelastung wie bei den übrigen Verkehrsträgern den jeweiligen Verursachern anzulasten“. Das dürfte die Flughafengesellschaften empfindlich treffen. An die Adresse von Fritz Vahrenholt, der sich gern als hilfloser Landes-Umweltsenator präsentiert, geht die Ermutigung, jedes Bundesland habe die Möglichkeit, Regelungen zu treffen, um örtlichen Umweltproblemen wie Lärm zu begegnen.
Für Mittel- und Kurzstreckenflüge sehen die Leitlinien keine Zukunft: „Ziel norddeutscher Luftverkehrspolitik ist es, Teile des Luftverkehrs auf die Schiene zu verlagern.“ Bis 2010 sollen 30 Prozent der norddeutschen Kurzstreckenflüge über andere Verkehrsträger abgewickelt werden. Und: „Die norddeutschen Länder setzen sich für eine verstärkte Zusammenarbeit der Verkehrsträger ein und für eine gerechte Zuordnung der vom jeweiligen Verkehrsträger verursachten Wege- und Betriebskosten.“
Dem Bau eines norddeutschen Großflughafens in Kaltenkirchen, wie ihn die CDU trotz der Ablehnung Anfang der 80er Jahre dann und wann fordert, wird eine klare Absage erteilt: Der existierende, stadtnahe Flughafen sei mit seinem „Schwerpunkt im Dienstleistungssektor und Außenhandel unverzichtbar“. Ein Ersatzflughafen in der Pampa berge „die Gefahr, daß die beschäftigungs- und industriepolitisch wichtige Luftfahrtindustrie aus Norddeutschland abwandert“. Ferner koste der Neubau zehn Milliarden Mark, „die sich nicht in angemessener Zeit amortisieren können“, und auch der Konkurrenz eines geplanten Großflughafens in Berlin nicht standhalte. Ferner würden „intakte Ökosysteme durch Flächenversiegelung zerstört“. Daher glauben die Verkehrsminister, daß es sinnvoller ist, die bestehende Infrastruktur gleichmäßiger zu nutzen, mit anderen Flughäfen zu kooperieren und vor allem in Hamburg für eine bessere Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr sowie das ICE-Netz (!) zu sorgen.
Für die Reduzierung des Lärms sieht der Bericht drei Möglichkeiten: Steuerung über den Preis, über infrastrukturelle und organisatorische Maßnahmen sowie über Ge- und Verbote. So könnten die Start- und Landeentgelte nach Lärm- und CO2-Emission, Flugzeugtyp und Tageszeit differenziert werden. „Auch weiterhin jedoch ist die Lärmbelastung im Nahbereich vor allem aufgrund der hier auftretenden Spitzenschallpegel problematisch“, räumt der Bericht ein und widerlegt damit die These der Flughafenerweiterungs-Fans. Die behaupten, der Lärm ließe sich durch den Einsatz leiserer Flieger so reduzieren, daß einer Ausweitung der Flugbewegungen nichts widerspreche. Das aber stimmt nicht, weil der Lärmpegel beim Start unabhängig vom Flugzeugtyp extrem hoch ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen