Leichtathletik: Teamchef darf nicht mehr trainieren
Erstmals erhalten die deutschen behinderten Leichtathleten einen hauptamtlichen Bundestrainer. Doch Ralf Otto, der die vergangenen zwölf Jahre ehrenamtlicher Teamchef war, wird sie nicht bekommen.
Ralf Otto drückt sich vorsichtig aus: Er wolle nicht widersprechen, wenn andere denken, dass er enttäuscht ist. "Sicher bin ich nicht glücklich mit dieser Entscheidung, aber zurzeit gibt es Wichtigeres für mich." Kommende Woche beginnen in Peking die Paralympics. Und Otto ist verantwortlich für die deutschen Leichtathleten - zum vorerst letzten Mal, wie es aussieht.
"Er wurde einfach abgesägt", sagt der sehbehinderte Sprinter Matthias Schröder. "Den neuen Trainer kennen wir gar nicht. Wir haben keine Ahnung, wer das ist, was der macht und ob er wirklich neue Ideen hat." Mit neuen Ideen und "einem frischen Wind" habe es der Deutsche Behinderten Sportverband (DBS) begründet, warum er Willi Gernemann als Trainer engagiert hat, der im Behinderten-Sport bisher noch nicht gewirkt hat.
Otto, der mehr als zwölf Jahre ehrenamtlicher Teamchef war, hatte sich auch auf die Stelle des hauptamtlichen Bundestrainers beworben. Seit den Paralympics 1996 in Atlanta verantwortet er die Leichtathleten bei internationalen Wettkämpfen. Mehr als 400 Medaillen haben seine Schützlinge seitdem erlaufen, ersprungen und erworfen. "Ich habe irgendwann angefangen, nebenher Statistik zu führen", erzählt Otto und lässt sich zu dem Fazit hinreißen "so erfolglos habe ich dann wohl nicht gearbeitet".
Diesen Teilsatz betont er besonders, denn "erfolgloses Arbeiten" soll eine interne Begründung gewesen sein, warum er in Zukunft nicht mehr Leichtathletik-Teamchef sein darf. Weitere Gründe für seine Nichtberufung würden sich seiner Erkenntnis entziehen, auch wenn Sportdirektor Frank-Thomas Hartleb sagt: "Ihm gegenüber haben wir unsere Entscheidung begründet. In der Öffentlichkeit möchte ich aber nicht konkret werden." Der nun ausgewählte Willi Gernemann hatte bisher in anderen Bereichen Aufbauarbeit geleistet; er war bereits in Bolivien, Chile und Namibia als Leichtathletik-Trainer tätig.
In Peking wird Gernemann aber noch nicht dabei sein. Ralf Otto ist in Peking gerade als Organisator unverzichtbar. Er hatte mit den Vorbereitungen für die Paralympics bereits im vergangenen Jahr begonnen. In einer kleinen Gruppe waren die Leichtathleten nach Peking gereist, um sich die Bedingungen vor Ort anzuschauen. "Das läuft relativ professionell ab. Solche Besichtigungen haben für uns eine große Bedeutung", erzählt Otto, womit er vor allem behindertenfreundliche Sportanlagen und Wohnungen meint. "In Atlanta hatten wir auf die Besichtigung im Vorfeld verzichtet und dann feststellen müssen, dass wir gar keine richtige Trainingsstätte mit Tartanbahn hatten." Auch aus solchen Erfahrungen hat Otto offensichtlich seine Lehren gezogen. "Es gibt bestimmte Dinge", sagt er, "die erkennt ein normaler Mensch gar nicht. Aber für unsere behinderten Athleten sind das mitunter wichtige Details, die mir dann auffallen."
Auch Matthias Schröder hat deshalb seine Probleme damit, dass Otto in Zukunft nicht mehr verantwortlich ist. "Das wirft uns erst mal zurück. Er hatte viele Kontakte und hat wirklich viel für uns gemacht, uns auch mal Startplätze bei Meetings für nichtbehinderte Leichtathleten organisiert." Schröder kann sich zwar auch vorstellen, dass der neue Bundestrainer mit "neuen Ideen" für Erfolg sorgen kann, allerdings hätte er es besser gefunden, wenn Otto wenigstens übergangsweise dabei bleiben könnte. Gernemann und Otto hätten sich die Arbeit zum Beispiel teilen können.
Schröder und sämtliche anderen Leichtathleten hatten sich für ihren bisherigen Trainer eingesetzt. In einem offenen Brief richteten sie sich sogar an den Bundespräsidenten, die Bundeskanzlerin und den Sportausschuss des Bundestages. "Herr Otto hat seit vielen Jahren gute Arbeit geleistet. Wir haben das einfach nicht verstanden, warum er nicht mehr unser Trainer sein kann", hieß es in dem Brief. Doch vor den Paralympics wurden die Athleten gebeten, sich rauszuhalten. Auch deshalb ist Gernemann nicht in Peking dabei: "Das sind taktische Gründe. Wir sollen ein wenig mit dem Thema in Ruhe gelassen werden und uns auf die Wettkämpfe konzentrieren." Immerhin wurden aber Gespräche, in Reaktion auf die Briefe, angekündigt, so Schröder. Sportdirektor Hartleb bestätigte das und meinte, dass darüber gesprochen wird, dass Otto in einer organisatorischen Funktion weiterarbeiten soll. "Die Entscheidung für Gernemann war keine gegen Otto. Es haben eher sportfachliche Gründe entschieden. Immerhin war Gernemann mit seinem Diplom-Trainerschein für uns der qualifizierteste Bewerber."
Ralf Otto wird einigen Athleten wie Schröder in anderer Funktion erhalten bleiben. Seinen Posten beim Behinderten-Sportverband Berlin (BSB) zum Beispiel beim Paralympischen Sportclub (PSC) wird er behalten. Dort ist er als Leistungssportkoordinator tätig und trainiert auch einige Leichtathleten des Bundeskaders als Heimtrainer.
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