Leibesübungen I: "Ein Sprung über zwei Quarters"
Im Velodrom treffen sich internationale und lokale Größen der Skateboarder und BMX-Fahrer. Sie fliegen über die Hürden auf einem Parcours und überzeugten mit zur Schau gestellter Lockerheit.
Was ist es, das Skateboardern und BMX-Fahrern und ihrem Sport eine Aura von Coolness und Antiestablishment verleiht? Ist das nicht alles längst nur noch Fassade, eine simple Vermarktungsmasche der mittlerweile millionenschweren Industrie?
Antworten auf diese Fragen gab es am Wochenende im Velodrom. Dort kürten Skater und BMX-Cracks von internationaler Klasse unter dem Motto "Extreme Playgrounds" ihre Besten.
Szenegrößen aus den USA, Kanada oder auch Venezuela kamen zur Finalrunde am Samstag. Und szenetypisch waren ihre Fans: junge Mädchen, die alle ein wenig wie die kanadische Rocksängerin Avril Lavigne aussehen. Jungs, die mit ihren langen Haaren auch in einer Indy-Rock-Band spielen könnten. Musik und Sport sind eng miteinander verflochten. Zum Aufwärmtraining liefen Songs der Beatsteaks oder von Green Day.
Ob Salti, Schrauben, Höhe der Sprünge oder die traumtänzerische Sicherheit der Fahrer - die Fans nutzten pausenlos ihre Digitalkameras, wenn die Teilnehmer akrobatisch durch die Halle flogen. Auf den Boden wurde selten geguckt, die Gefahr eines steifen Nackens ist umso größer für den Zuschauer. "Hey Ya" von Outkast untermalte das Staunen des Publikums.
Die Fahrer grüßten sich mit Handshakes und diskutierten über die in der Halle aufgebauten Rampen, Hindernisse und Halfpipes. US-Skate-Star Dayne Brummet bemängelte kurz ein Treppengeländer, das auf einer Rampe angebracht zum "Grinden", zum "Herabgleiten" angebracht war. Das sei zu rutschig, meinte Brummet. Dabei lautet sein Lebensmotto "Lifes a bitch and then you die".
Nach dem Training traten die Radkünstler und Brettsportler zur Qualifikation an. Je zwei Fahrer hatten im Duell je zweimal 60 Sekunden Zeit, um auf dem Parcours möglichst viele und möglichst gute Aktionen zu zeigen, die von einer Jury bewertet werden.
Ein Kommentator reihte die Namen der einzelnen Bewegungen aneinander, als hätte er nie etwas anderes gemacht. "Ein dicker 360", rief er ins Hallenrund, "ein Sprung über zwei Quarters". Das Fachchinesisch bezeichnete eine vollständige Drehung um die eigene Achse beziehungsweise den Sprung über zwei kleinere Rampen.
Unter den BMX-Cracks ragte am Samstag der Venezolaner Daniel Dhers hervor. Seine Dreher, Sprünge und Salti wirkten viel einfacher als bei der Konkurrenz. Die Zuschauer würdigten den erfolgreichen Titelsammler mit offenen Mündern während der Darbietung, Kopf schütteln ob der Lockerheit, mit der Dhers seine Aktionen zeigt, und mit lauten Ovationen danach.
Doch nicht nur die Cracks wurden bejubelt. Als der erste Starter im BMX-Feld immer wieder seine Figuren neu ansetzen muss, spenden Kommentator wie auch Publikum mit Applaus gefütterten Trost.
Cool, wie die Sportarten - und die Sportler - sind, ließ der Hallenkommentator auch später, wenn einer der Teilnehmer stürzt, nicht mehr als ein kurzes "Alles okay?" hören. "Aua", schallte es von vereinzelten Stellen im Publikum.
Schon beim Warm-up hatte sich der US-Star Rob Darden mit seinem BMX-Rad einmal zu oft gedreht. Er war direkt an der Absperrung gelandet. Doch von Schmerzen keine Spur. Darden stand auf, klopfte den Staub von der Hose und machte weiter.
Längjährige Erfahrung mag helfen, mit dem Schmerz umzugehen. Der 15-jährige Bruno Hoffmann aus Siegen zum Beispiel brachte den BMX-Parcours mit erstaunlicher Leichtigkeit hinter sich. Mit seiner Kombination aus Jugend und Talent hat er sich in der Szene längst einen Namen gemacht. Bei den Skatern fiel mit Alex Schultz ein noch Jüngerer auf. Mit gerade 13 Jahren konnte Schultz im Feld der "Großen" mitmischen.
Auch die Sponsoren mischen unübersehbar mit. Ihre Banner waren in der Halle äußerst großflächig in Szene gesetzt. Extremsportart-Anhänger gelten längst als potente Zielgruppe. Das Gebaren der Teilnehmer wirkte dennoch ehrlich, nicht aufgesetzt. Nicht der Medienhype, sondern das Können gab in der Halle den Ausschlag. Werbung ihrer Sponsoren trugen die Sportler nur am Helm, mit Firmennamen zugepflasterte Leibchen wie bei der Tour de France waren nicht zu sehen. Stattdessen Kiss-T-Shirts, Baggyhosen und Tattoos. Man könnte es für eine Masche halten. Wenn es nicht so natürlich wirken würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!