LehrerInnen in Sozialen Netzwerken: Mit Facebook im Privatleben
Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer kommunizieren in sozialen Netzwerken mit ihren Schülern. Diese „Freundschaften“ haben Vorteile – und sind gefährlich.
„Reifen zerstochen vor der Tür – Leute, wessen Klausur habe ich aus Versehen unfair bewertet? Mit mir kann man doch reden.;o)“, schreibt Katharina Lüders* auf ihre Facebook-Pinnwand.
Die Schülerinnen und Schüler freuen sich über den Post ihrer Spanischlehrerin. Sie bekommt zehn „Likes“ für diesen Eintrag. Auf Lüders Facebookseite finden sich neben aktuellen Fotos vom letzten Skiurlaub auch Bilder aus ihrer Vergangenheit.
Sie zeigen Lüders als junge Studentin am Strand und wild tanzend auf einer Party. Ihre Schüler können das alles sehen, haben einen guten Einblick in das Privatleben der Pädagogin.
Nach Informationen des Deutschen Philologenverbandes sind 80 Prozent der deutschen Lehrerinnen und Lehrern bei Facebook. Dass Lehrer und Schüler über das soziale Netzwerk „befreundet“ sind, ist heute schon lange nicht mehr die Ausnahme. So wird der Lehrer auch außerhalb des Klassenraums zum Ansprechpartner. Die letzte Klassenfahrt kann via Facebook gemeinsam ausgewertet werden.
„Nicht durch die Glasscheibe unterrichten“
„Ein persönliches Verhältnis zu meinen Schülern war mir schon immer wichtig. Sie können doch ruhig sehen, dass ich auch ein normaler Mensch bin. Ich möchte authentisch sein und nicht durch die Glasscheibe unterrichten“, erklärt Katharina Lüders die Facebook-Freundschaften zu ihren Schülern. Lüders kann so auch besser sehen, was die Kinder und Jugendlichen im Internet machen, welche Probleme sie haben.
„Viele Dinge, auch private Sorgen, Zukunftsängste und Liebeskummer werden im Unterricht nicht angesprochen. Eine kurze Nachricht via Facebook an mich hilft dann vielen Schülern weiter, das geht schnell, problemlos und direkt“, sagt Lüders der taz. Sie versteht die Angst vieler älterer Kollegen vor dem neuen Medium nicht. Doch die junge Frau muss auch auf Facebook Lehrerin bleiben, hält sich aus privaten Posts und Fotos ihrer Schüler raus, nimmt nur „Freundschaften“ aus der Oberstufe an.
Denn wenn aus dem ursprünglichen Lehrer-Schüler-Verhältnis über Facebook ein privates wird, kann es gefährlich werden – für beide Seiten.
Lehrer sind nicht mehr unabhängig
„Sieht eine Lehrerin auffällige Fotos oder Beleidigungen ihrer Schüler, steht sie vor schwierigen Entscheidungsfragen. Ist das privat oder nicht? Soll sie einschreiten oder nicht?“, fragt Heinz-Peter Meidinger, Bundesvorsitzender des Deutschen Philologenverbandes. Ein Pädagoge sei zur Objektivität verpflichtet. Wenn er nur mit einigen Schülern „befreundet“ sei, verliere er Unabhängigkeit, meint Meidinger weiter.
„Ich habe die Verantwortung, dass bei meinen Freundschaften nichts schief geht. Die Ebenen müssen gewahrt bleiben“, sagt sie. Doch bei anderen Lehrern geht es immer wieder schief.
Mitte April wurde ein Hamburger Lehrer zu 15 Monaten Haft verurteilt, weil er mit einer Schülerin Sex hatte. Beide waren sich über Facebook nähergekommen. Ein Englischlehrer aus Ostfriesland schrieb gleich mehrere Schülerinnen über die Plattform an, wollte sie auch privat treffen. Seine Annäherungsversuche flogen auf, er wurde suspendiert.
Neuntklässer brauchte Zuwendung
Tobias Steffens*, ein junger Biologielehrer aus Berlin, musste vor kurzer Zeit zwei weinende Mädchen aus seinem Unterricht werfen. Sie hatten eine Lehrerin im sozialen Netzwerk beleidigt. Jetzt dürfen sie nicht mit zur Klassenfahrt. Während seiner Zeit als Referendar wurde Steffens regelmäßig von einem Neuntklässer über Facebook angeschrieben. Es folgten Komplimente vonseiten des Schülers.
Steffens wusste nicht mehr, was er machen sollte. Wie sollte er den Jungen abweisen, der Zuwendung und anscheinend auch Liebe brauchte?
Steffens hat heute eine Lösung gefunden. Er hat ein Facebook-Profil nur für Schüler eingerichtet. Auf seine privaten Einträge können sie nicht zurückgreifen, obwohl sie doch „befreundet“ sind.
*Name von der Redaktion geändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin