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Archiv-Artikel

Lehrer müssen draußen bleiben

Braucht man noch Jugendclubs, Spielhäuser und Bauspielplätze, wenn die Ganztagsschule kommt? Unbedingt, denn wir arbeiten anders, sagen Sozialarbeiter – und werben mit der Kampagne „Entschlossen offen“ für ihr Arbeitsfeld

VON KAIJA KUTTER

„Wird der Abenteuerspielplatz geschlossen?“, fragt die 13-jährige Sarah besorgt. Es ist Mittwoch, die Märzsonne scheint, ein idyllischer Nachmittag am Bauspielplatz Wegenkamp in Hamburg Stellingen geht zu Ende. Während die Eltern es sich auf der Veranda vor dem Häuschen gemütlich machen, laufen kleine Jungs und Mädchen mit Hämmern und Nägeln durchs Gelände, um an ihren Hütten zu werkeln. „Passiert ist hier in all den Jahren noch nie etwas“, sagt Sozialarbeiter Thomas Loewe. Nur manchmal würden die Kleinsten aus Versehen einen Nagel in einer Sitzbank versenken.

Sarahs Frage ist kompliziert zu beantworten. „Nein, der Platz wird nicht geschlossen. Es gibt nur Politiker, die überlegen, so einen Abenteuerspielplatz in die Ganztagsschule zu verlegen.“ „Iiih!“, sagt Saras Freund Lotfi spontan. „Das wäre nicht gut. Hier auf dem ASP kriegen wir, was wir brauchen.“ Beide besuchen dort den Pädagogischen Mittagstisch, wo sie Hausaufgabenhilfe bekommen. „Ganztagsschule wäre doof. Hier hat man Spaß an Lernen“, sagt Sarah. „Die erklären uns das besser.“ In der Schule sei nur ein Lehrer für 28 Kinder da, auf dem ASP „erklären sie uns das einzeln“. Er habe sich in Mathe von drei auf zwei verbessert, sagt ihr Freund.

Das Gespräch kam eher zufällig am Ende des offiziellen Besuchs zu Stande. Es bringt auf den Punkt, was der „Verband für offene Kinder- und Jugendarbeit“ und eine Liste von über Hundert weiteren Unterstützern mit ihrer Kampagne „Entschlossen offen“ darstellen wollen.

„Wir sind dagegen, dass sich die offene Kinder- und Jugendarbeit unter das Dach von Schule begibt und unterordnet“, erklärt Geschäftsführer Joachim Gerbing. „Schule und Jugendhilfe haben verschiedene Aufgaben“, ergänzt Fachreferent Manuel Essberger. „Wir haben den Einzelnen im Blick, die Schule muss als Ganzes funktionieren.“

Etwa 290 Einrichtungen wie Jugendclubs, Spielhäuser, Mädchentreffs, Kinder- und Familienzentren und eben Bauspielplätze gibt es in Hamburg. Orte, zu denen die Kinder und Jugendlichen freiwillig kommen, wo es keine Noten, Regeln oder Restriktionen gibt und wo sie meist, wie auf dem Bauspielplatz, etwas mit gestalten können. „Es gibt Kinder, die scheitern in der Schule und bauen hier eine 1a Hütte hin“, sagt Thomas Loewe. Er und seine Kollegen vom Bauspielplatz gehen auch mal mit zum Elterngespräch in die Schule und setzen sich umfassend für die Belange ihrer Besucher ein, die größtenteils in der gegenüberliegenden Unterkunft für Wohnungslose leben. Gibt es eine Krise, weil ein Teenager es zuhause nicht aushält, hält der ASP sogar eine Gästewohnung in einem nahegelegenen Wohnblock bereit, in der sie kurzfristig unterkommen können – ohne die gefürchtete Einschaltung von Polizei oder Jugendamt. „Wir haben hier einen Zugang zu den Eltern, den die Schule nicht hat“, sagt Ela Lang, die die Gästewohnung betreut. Es sei so, fügt Essberger hinzu, dass die Schule „eine ganz bestimmte Gruppe“ von etwa zehn Prozent schlecht erreiche. „Das sind die, die die offene Arbeit nutzen.“ Deshalb sei eine Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ nötig. Wenn die Jugendhilfe der Schule unterstellt würde, wäre es für ihn„eine Katastrophe“.

Doch eben dies wird in der Politik ernsthaft diskutiert. Am provokantesten formulierte es der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer. „Sozialarbeiter in alle Ganztagsschulen rein!“, forderte er jüngst: „Dann hätten wir sie für alle Jugendlichen erreichbar und nicht nur für bestimmte Subgruppen, die sich ein bestimmtes Freizeitheim gepachtet haben.“ Und im Abschlussbericht der Hamburger Schul-Enquete-Kommission heißt es unter dem Stichwort „Bildungsfinanzierung“, man solle „prüfen“, den Ganztagsschulen Aufgaben der Jugendhilfe zu übertragen und dafür Mittel „umzuschichten“. Dies soll zunächst nur per Modellversuch geschehen. GAL und SPD plädieren in einem Minderheitenvotum dafür, dass Schule und Jugendhilfe „gleichwertige Partner“ sein sollen. In allen Bürgerschaftsfraktionen gibt es eine Debatte, bei der die Trennlinie zwischen Jugend- und Schulpolitikern verläuft.

„Wir haben die Diskussion noch nicht abgeschlossen“, sagt die GAL-Jugendpolitikerin Christiane Blömeke, die gerade mit einer Großen Anfrage nachhakt, wie viel in der offenen Arbeit gespart wurde. Gebe es mehr Ganztagsschulen, müssten die offenen Einrichtungen erhalten bleiben und länger am Abend und am Wochenende öffnen.

„Wenn wir vom Kind her denken, bin ich überzeugt, dass die Schulen die Kompetenz der Sozialarbeiter dringend brauchen“, sagt die SPD-Schulpolitikerin Britta Ernst. Es müsse hier eine Verschiebung geben. Dennoch leuchte ihr ein, dass Kinder „auch neben der Schule noch andere Orte brauchen“. Möglicherweise könne man auch in der Schule Nischen schaffen, in denen Lehrer keinen Zutritt haben. Ernst kann „verstehen, dass die offene Arbeit sich bedroht sieht“, und mahnt an, dass es einen Rahmen für eine gemeinsame Diskussion geben müsse.

Denkbar, dass eine veränderte Schulstruktur eine neue Grundlage dafür schafft. Wenn die Schule bereit wäre, „sich zu öffnen“, ließen sich „fantastische Sachen entwickeln“, sagt Ela Lang. Man müsste „ihnen verbieten, Kinder rauszuschmeißen“, meint Essberger.