Lehren aus dem Rütli-Rummel : KOMMENTAR von RALPH BOLLMANN
Nein, so hätten sich die meisten Deutschen ihre Vorzeigeschule nicht vorgestellt. Eine Grundschule mitten in einem Problemviertel, 83 Prozent der Schüler sind Migranten: So sieht nach dem Urteil der Bosch-Stiftung Deutschlands beste Schule aus. Auf Platz zwei bis fünf folgen, horribile dictu, integrierte Gesamtschulen. Es handelt sich also um jenen Typus von Bildungseinrichtungen, auf die Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit seine Kinder, hätte er welche, nach eigenem Bekunden niemals schicken würde.
Die Preisverleihung zeigt, wie sehr die deutsche Bildungsdebatte in den vergangenen fünf Jahren ihre Richtung gewechselt hat. Dass es Reformbedarf gibt, war bereits vor dem Pisa-Schock unbestritten. Doch damals ging es immer nur um die Förderung einer vermeintlichen Elite: Ob Verkürzung der Schulzeit, schärfere „Auslese“, Expressklassen für „Schnellläufer“ – von einer anderen Schulform als dem Gymnasium, das es zu hätscheln gelte, war praktisch nie die Rede.
Deshalb waren die Skandalberichte von den Problemschulen à la Rütli durchaus zu etwas nütze. Sie zeigten, dass die wahren Probleme des deutschen Schulsystems nicht im Physik-Leistungskurs liegen. Sie machten die Pisa-Diagnose, gegen die sich viele Pädagogen mit feinsinnigen Methodenzweifeln abschirmten, erst plastisch sichtbar und damit unangreifbar.
Am Beginn von Veränderungen steht immer die schonungslose Wahrnehmung der Wirklichkeit. Das wird auch Wowereits Antrieb gewesen sein, als er den Schulen in Kreuzberg ein Problem attestierte. Doch inzwischen geht es nicht mehr um die Diagnose, sondern um die Therapie: darum, dass engagierte Schulleiter und Lehrer nicht länger über die Vorgaben einer trägen Kultusbürokratie jammern, sondern sich im Zweifel darüber hinwegsetzen. Dass sich die Schule selbst zu einem lernenden System entwickelt, die vermeintlich schwache Schüler nicht immer nur aufs Neue frustriert. Damit auch bildungsbürgerliche Eltern ihre Kinder auf solche Gemeinschaftsschulen schicken.
Eine Problemschule könnte dann so aussehen: Villenviertel, null Prozent Migranten, hundert Prozent Akademikerkinder – das kann ja nicht gut sein.