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Archiv-Artikel

Legoland außer Rand und Band

Problematisch nicht erst zu Weihnachten: Das Spielzeug, findet mancher, wird immer brutaler, weil es der Zeitgeist verlangt

von Tonio Postel

Was waren das für Zeiten: Im Fernsehen jagten nachmittags Tom und Jerry einander die Wände hoch, und in den Spielzeug-Regalen der Warenhäuser fand man vor allem Gesellschaftsspiele. Noch bis Mitte der 80er waren die „Star Wars“-Familie und der Muskelprotz He-Man so ziemlich das bedrohlichste auf dem Markt.

Heute sind Roboter der (vor-) letzte Schrei, die Auslagen sind voll von Futuristischem, und Lego ist auch nicht mehr was es war. Furcht einflößende Erscheinungen in Kampfmontur mit Kneifzangen-Armen, Äxten oder Schwertern: So genannte „Bionicle“-Figuren (ab neun Jahren), die laut Hersteller alles „bei kleinster Berührung in kleine Teile zersplittern lassen“ und „beim Laufen Explosionen verursachen“. Eine Etage tiefer ist die Entwicklung noch weiter fortgeschritten: „Robotics invention“-Baukästen, motorbetriebene Kreaturen, die „ihre Umwelt wahrnehmen“ und „Infos austauschen können“. Die Packung verspricht, dass sie fortan nur das tun werden, „was du willst“ – für Kontrollfreaks ab zwölf.

Anstatt Tom und Jerry oder Micky Maus sind heute insbesondere japanische Zeichentrickfilme ein Thema. Bei RTL 2 und Co. flimmern sie den ganzen Nachmittag über die Mattscheibe, das halbe Wochenende noch dazu. Ob bei den so niedlich anmutenden wie kampflustigen „Pokémon“-Tierchen, den sportlichen Comic-Helden von „Beyblade“ oder auch bei den fabelartigen Kreuzungen aus Mensch und Tier („Yu-Gi-Oh“): Zu allen Serien sind im Fachhandel verschiedene Produkte erhältlich, mit denen sich der ewige Kampf Gut gegen Böse daheim fortsetzen lässt. Da werden sichelartige Geschosse abgefeuert oder müssen gar Naturgewalten herhalten, um den Gegner einzudämmen. Einzig Blut fließt vorerst noch keins.

Natürlich gab es auch bei Tom und Jerry Brutalität, führten auch die „Star Wars“-Plastikmännchen einen „gerechten“ Krieg, doch hat das heutige Angebot wohl eine andere Dimension erreicht. Gabriele Pohle-Diekmann, Inhaberin des Spielwarenladens „Kinderparadies“ (Neuer Wall), beobachtet seit geraumer Zeit, dass „die Kinder für anspruchsvolles Spielzeug keine Zeit mehr haben“, ihnen für den Bau einer Lego-Burg oder eines Modellbaukastens schlicht die Geduld fehle. „Die Firmen nehmen traditionelle Spielesammlungen zunehmend aus dem Sortiment“, sagt Pohle-Diekmann, die schon in vierter Generation und seit 30 Jahren Spielzeug verkauft. „Die Halbwertszeit der Spiele hat sich in den letzten zehn Jahren beinahe halbiert“. Die Gründe hierfür sieht sie auch in der anhaltenden Wirtschaftskrise. „Viele Firmen trauen sich nicht mehr marktunangepasste Spiele zu entwerfen.“

Die „Bionicle“-Figuren werden bei ihr nur auf Nachfrage herausgegeben, erklärt sie. „Die gehen im ganzen Innenstadt-Bereich schlecht, in den Einkaufsmärkten am Stadtrand dafür sehr gut.“ Anya Bieberthaler, Pressesprecherin von Lego Deutschland mit Sitz in München sieht eine Gefahr darin, die Kinder von solchem Spielzeug und den dazugehörigen Serien „völlig abzuschotten“, da sie sonst als Outsider dastünden. Die Lego-Philosophie beruhe darauf, Spielsachen herzustellen, die „aggressionsfrei“ sind und „den Kindern gut tun“. Weil man aber „auch Geld verdienen“ müsse, biete man „bis zu einer gewissen Grenze“ auch solches Spielzeug an, „dass sich die Kinder nicht langweilen“.

In der Spielzeug-Abteilung des Kaufhof steht der zehnjährige Dominik aus Höchberg bei Würzburg und sondiert den Markt. Er findet „Lego-Technics und Computer-Spiele“ gut. Er sagt: „Ich habe nur eine ‚Bionicle‘-Figur und die steht im Schrank.“ Er baue gerne und viel, „am liebsten Lego-Städte. Von meinem Onkel habe ich eine Eisenbahn und Lego-Teile geerbt“, berichtet er freudig. Der 13-jährige Gymnasiast Philip aus Jena interessiert sich da mehr für die „Yu-Gi-Oh“-Figuren. „Es stört mich nicht, dass die brutal sind“, versichert er. „Ich habe jedenfalls noch nie davon geträumt“, sagt er.

Der Hamburger Kinder- und Jugendpsychologe Franz Timmermann sieht in der Zunahme von brutalem Spielzeug und der Gewalt in Zeichentrick-Serien „ein Abbild der Gesellschaft“. Eine Gefahr sieht er darin, dass „die Eltern immer weniger Zeit für ihre Kinder“ hätten. Ingetraut Palm-Walter, Vorstandsmitglied von „Spiel-Gut“, einem ehrenamtlichen Verein, der Verbraucher über gutes Spielzeug berät, wundert sich, dass „viele Eltern auf die Ernährung ihrer Kinder achten – aber nicht auf das Spielzeug“. Sie sieht die „gute und hohe Spielzeugkultur in Deutschland“ gefährdet – besonders durch die Werbung. „Die Firmen glauben, düsteres Spielzeug sei für die Kinder interessanter.“

Und Kinder sind wiederum interessant für die Hersteller: Corinna Printzen vom Verband der Spielwaren-Industrie in Nürnberg erklärt, dass die 8- bis 14-Jährigen in Deutschland über ein jährliches Taschengeldbudget von „rund einer Milliarde Euro“ verfügen. Dabei scheinen sie nicht zur „Geiz ist Geil“-Generation zu zählen: Der Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels rechnet auch in diesem Jahr mit einem Umsatz von etwa 3,2 Milliarden Euro. Auch dank der Roboter.