■ Leer- und Lehrformeln in Geschäftsberichten: Kreative Ingenieurleistungen
Was braucht der Mensch zum Überleben? Die Fachleute sagen: Bücher, Autos, eine Bank und eine Lebensversicherung. Das stimmt. Aber alles nach der Reihe. Beginnen wir mit den Büchern.
Die Bertelsmänner haben mit einem Buchclub angefangen, und jetzt besitzen sie die halbe Medienwelt. Was schreibt diese Firma in ihrem Geschäftsbericht zum Thema Buch? „Der Charme des Buches ist diskret: Das älteste unter den Medien der Neuzeit ist auch das unaufdringlichste. Das Buch setzt die Sinne seines Lesers nicht gefangen. Es eröffnet vielmehr Räume, die er mit eigener Phantasie füllen kann. Diese Fähigkeit macht aus dem Buch das interaktive Medium par excellence.“
Tja, bei einem Gesamtkapital von 5.206.000.000 Mark und einem Bilanzgewinn von 480.000.000 Mark wäre ich wohl auch der Meinung, daß diskrete Bücher die charmanten Sinne nicht gefangen setzen können und daß phantasievolle Fibeln sogar in der Lage sind, unaufdringliche Räume zu eröffnen. So weiß ich aber nur: Bücher sind wichtig. Fast so wichtig wie Autos.
Die Leute von Audi kennen sich am besten aus: „Technik und Gefühl – wie kommt das zusammen? Ganz einfach: über die Faszination. Über die Ausstrahlungskraft des Designs. Über das Erlebnis, innovative Dinge zu genießen, kreative Ingenieurleistungen in Anspruch zu nehmen. Für besseres Fortkommen, für mehr Sicherheit, für ökologischen Fortschritt.“
Beim Autokauf werde ich künftig darauf achten, ob bei der Karre auch Technik, Gefühl und Ausstrahlungskraft zusammenkommen und ob überdies Faszination im Spiel ist.
Wenn ja, kaufe ich das Fahrzeug bestimmt nicht. Man stelle sich einmal vor, ein wunderbarer Abend mit der Liebsten steht bevor, man holt die Angebetete mit seinem Audi ab, und die quasselt etwas von Gefühl und Faszination und meint nicht dich, sondern deine Kutsche. Da wären mir sogar das bessere Fortkommen, die Sicherheit und der ökologische Fortschritt scheißegal.
Bevor aber an Auto und Freundin gedacht werden darf, muß die richtige Bank gefunden werden, bei der die Konditionen für die Kreditvergabe günstig sind. Ist das bei der Sparkasse der Fall? In ihrem Geschäftsbericht steht geschrieben: „Die Untersuchungen der Kreditwirtschaft zeigen – insbesondere auch im Vergleich mit anderen Wirtschaftsbereichen – noch Defizite in der Dienstleistungsqualität.“ Also, Finger weg von der Sparkassen-Mafia! Wer schon zugibt, keine Ahnung zu haben, dem ist ganz und gar nicht zu trauen.
Jeder braucht anständige Versicherungen, insbesondere eine gute Lebensversicherung „Stiftung Warentest“ behauptet, daß die Cosmos-Lebensversicherungen „sehr gut“ seien. Und Cosmos behauptet: „Niedrig-Tarife erfordern kostenbewußtes Handeln in allen Unternehmensbereichen. ,Lean- Management‘ und ,No Comfort‘ sind keine Leerformeln für Cosmos. Effiziente Betriebsorganisation, Informationsverarbeitung und ein computergestütztes Telefonsystem helfen, die Kosten niedrig zu halten.“
Was ist das bloß für ein Versicherer, der solche Sätze produzieren läßt und der, als wäre es das Wichtigste auf der Welt, effizient Informationen verarbeiten, informativ Betriebe organisieren und computergestützt telefonieren will, ganz ohne Leerformeln, vor allem aber kostenbewußt? Wo hat der Autor dieser Zeilen überhaupt die Schriftstellerei erlernt? In der Schule? Bei Papi? Oder beim Onkel Doktor? Kann die Cosmos, die solche Werbetexter einstellt, anständig versichern? Wahrscheinlich schon. Carsten Otte
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