Lebenskünstler Hans Herbst über Heimat und Jazz: "Hier ist nicht mein Zuhause"

Hans Herbst ist das, was man einen Weltenbummler und Lebenskünstler nennt. Der Hamburger Musiker und Schriftsteller über die rechte Zeit, einen Ort zu verlassen und über das Verbindende an der Jazz-Musik.

Bartträger erst aus Überzeugung, dann aus Bequemlichkeit: Hans Herbst. Bild: Ulrike Schmidt

taz: Herr Herbst, seit wann tragen Sie eigentlich einen Vollbart?

Hans Herbst: Oh, schon ewig, seit Jahrzehnten!

Können Sie sich noch an Ihren ersten Bart erinnern?

69, Autor und Musiker, ist in St. Pauli geboren und im schleswig-holsteinischen Garstedt aufgewachsen. Er reiste durch Europa, später nach Mexiko, Nordamerika, Brasilien und in die Karibik. 1979 entstanden erste Texte und Herbst schrieb Reportagen für den Playboy. Seine erste Kurzgeschichtensammlung "Der Cadillac ist immer noch endlos lang und olivgrün" erschien 1981. Herbst hat zahlreiche Kurzgeschichten und Reportagen geschrieben und seinen Roman "Mendoza" veröffentlicht. Er lebt heute in Hamburg.

Das war, als ich in den 50er Jahren meine erste Reise in den Süden machte. Mein Kumpel und ich rollten unsere Penntüten ein, hielten den Daumen in den Wind und ließen uns Bärte wachsen, die aber ziemlich dünn ausfielen. Aber echte Abenteurer rasieren sich doch nicht.

Und seitdem tragen Sie Bart?

Aber nein! Wir waren damals in der Lehre und da ging das nicht, die Meister hätten uns erschlagen!

Wieso das denn?

Bart war damals nicht angesagt, Bart trugen brotlose Künstler und Anarchisten, Leute außerhalb der Gesellschaft, aber doch keine braven Lehrlinge.

Aber sie haben sich dann, so bald es ging, einen Bart stehen lassen und den nie wieder abgenommen? Also sind Sie doch ein Anarchist.

Ach was, ich hatte einfach keine Lust mehr, mich zu rasieren.

Wo hat Sie Ihre erste Reise denn hingeführt?

Wir sind runtergetrampt nach Italien, haben an den Stränden oder in den Feldern geschlafen. Das war herrlich! Und auch eine einschneidende Erfahrung, denn ich habe auf dieser Reise zum ersten Mal gespürt, was es heißt, frei und selbstbestimmt zu sein. Niemand hat mir reingeredet, der Meister hat nicht gemeckert, ich konnte machen, was ich wollte. Der Druck war weg und das war prägend.

Sie sind gelernter Autoschlosser, wieso gerade das?

Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und ein Junge aus einer Arbeiterfamilie muss einen Beruf lernen. Das gehörte sich so. Aber ich hatte keine Lust, kam mit 15 Jahren aus der Volksschule und wollte nur weg, ich wollte auf Tour. Aber das ging ja nicht und so bin ich aus lauter Verlegenheit Autoschlosser geworden. Aber die Lehrzeit war nicht umsonst, ich habe den Druck von oben, die Autorität, so richtig hassen gelernt.

Woher kam damals die Sehnsucht nach der Ferne? Ich nehme mal an, Sie sind mit Ihren Eltern nie in den Ferien gewesen.

Nein, aber ich hatte schon viele Bücher gelesen, Radio gehört - "Von Hamburg nach Haiti" und solche Sachen. Das hat mich fasziniert und ich wollte immer schon weg und aus dieser Enge raus. Die dörfliche Enge habe ich einfach nicht ertragen.

Was machte das denn so unerträglich?

In so einem Dorf wie Garstedt in Schleswig-Holstein, wohin wir 1945 umgesiedelt wurden, weil unser Haus in der Schmuckstraße in St. Pauli weggebombt war, musste man sich anpassen.

Also eine Lehre machen, arbeiten gehen und für ein Haus sparen?

Genau das und das wollte ich alles nicht. Und auch später hatte ich nie die Lust, mich für die Anhäufung von Besitz krumm und bucklig zu schuften. Mit meiner Lehre habe ich das Soll für meine Eltern erfüllt und bin dann sofort abgehauen.

Nach Paris?

Nach Paris musste man damals! Da waren sie alle, die Avantgardisten und die Künstler. Glaubte man und vergaß dabei, dass man nur ein kleiner Träumer vom Land war.

Was haben Sie denn dort gemacht?

Mich so durchgeschlagen, Straßenmalerei, mit Kreide einen großen Jesus mit einer erstklassigen Dornenkrone auf die Straße gemalt, und das Geld reichte für Rotwein und Baguette.

Und mehr brauchten Sie nicht?

Nein, wofür hätte ich mehr brauchen sollen?

Ich weiß nicht, aber die meisten Menschen wollen ja schon mehr als nur von der Hand in den Mund leben.

Wohl wahr, aber damals war so ein Leben auch noch leichter, man konnte immer irgendeinen Job finden. Wer heute eine Arbeit hat, der gibt die nicht für eine Reise oder ein Abenteuer auf, weil man nie weiß, ob man hinterher wieder etwas findet.

Sie haben ja eine ganze Menge Jobs gemacht, bevor Sie anfingen zu schreiben: Autoschlosser, Steineschlepper, Eisenflechter, Zementmixer, Beleuchter, Kranfahrer. Hab ich was vergessen?

Kellner war ich auch und in München hatte ich eine Weinhandlung - mit Kamin. Das war schön.

Aber Sie haben später über Ihre Zeit dort geschrieben: "Ich habe dann etwas zu lange in München gelebt." Was ist denn zu lange für Sie?

Zu lange ist keine Frage von Wochen oder Jahren, sondern einfach ein Gefühl. Meine Zeit in München war abgelaufen, aber ich bin trotzdem noch geblieben und das war nicht gut.

Sonst sind Sie immer rechtzeitig gegangen?

Ich wusste immer, wann die Zeit an einem Ort vorbei war und dann bin ich ohne Bedauern gegangen.

Das klingt ein wenig rastlos. Was ist denn für Sie Zuhause?

Wenn ich das wüsste. Früher meinte ich, Zuhause ist da, wo man meine Sprache versteht. Aber ich weiß schon lange, dass hier nicht mein Zuhause ist.

Hier in Hamburg?

Hier in Deutschland. Ich fühle mich hier einfach nicht zuhause, nicht, weil ich die Deutschen nicht mag oder so. Ich brauche den Süden.

Was machen Sie denn dann hier?

Hier leben mein Sohn und mein Enkel, worüber ich sehr froh bin, auch, weil sie beide mit Jazz-Feeling gut gesegnet sind. Und wenn mir mal wieder die Bude zu eng wird, fahre ich weg. Ohne Hotelreservierung. Das habe ich früher schon so gemacht und komischerweise mache ich das jetzt mit fast 70 immer noch so.

Wieso ist das komisch? Warum sollten Dinge im Alter aufhören, Spaß zu machen?

Spaß ist das falsche Wort, ich bin immer noch aufgeregt, wenn ich an einen neuen Ort komme. Ich erlaufe mir die Städte, gehe zu Fuß überall hin und finde so immer wieder wunderbare Orte, und wenn ich irgendwo Jazz höre, gehe ich rein. Es gibt eine richtige Weltgemeinde des Jazz. Vielleicht ist die gemeinsame Musik eine Art Zuhause.

Vielleicht! Wie lange machen Sie denn selbst Musik?

Ich war 17, als wir unsere erste Band hatten, mein Onkel Paul hatte mir sein olles Schlagzeug geschenkt.

Hatten Sie Unterricht?

Am Anfang habe ich mir alles selbst beigebracht und von Platten abgehört. Aber irgendwann reichte das nicht mehr und dann braucht man Unterricht.

Den Sie unter anderem auf Kuba genommen haben?

Ja, ich war dreimal dort und habe auch Conga-Unterricht genommen. Die Kubaner sind die besten Conga-Spieler der Welt! Aber das kubanische System ist eine beinharte Diktatur und mit Castro und Che Guevara hatte ich nie etwas am Hut.

Sie haben auch sehr viel Zeit in Brasilien verbracht und darüber geschrieben: "Mein Land, meine Welt, meine Leute, immer wieder, und wenn ich einmal nicht reisen konnte, war ich krank vor Heimweh und lange und solide betrunken." Warum leben Sie nicht dort?

Auf die Dauer habe ich die Armut einfach nicht ausgehalten. Man begegnet ihr jeden Tag, sie hat mitunter Gesichter, die entsetzlich sind. Und man kann nichts tun, ist hilflos. Ich konnte meine Hilflosigkeit nicht mehr ertragen.

Und sind abgehauen. Aber Sie haben das Land geliebt?

Und wie. Es passiert dort jeden Tag wenigstens einmal etwas wirklich Schönes, man kann darauf warten, es passiert. Ein Beispiel: Meine Süße wollte sich eine kleine Bastmatte für den Strand kaufen und die Händlerin nahm mein Geld nicht an, sagte, ich schenke sie euch. Auf Kuba ist es ähnlich: Ich war auf einem Fest mit Rumba und Rum und gut gelaunt und eine junge Frau sagte zu mir: "Tu tienes una sonrisa bonita, guarda la."

Was bedeutet das?

Du hast ein schönes Lächeln, bewahre es dir. Mehr sagte sie nicht, und das war mehr, als ich verdient hatte.

Und diese kleinen Gesten fehlen Ihnen hier?

Das sind keine kleinen Gesten, das ist Ausdruck einer Lebenshaltung.

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