Lebenshilfe für Eltern: Familienhaus statt Kita
Die Schattenbildungsministerin der SPD, Andrea Nahles, will Eltern-Kind-Zentren einführen. Ein Ortsbesuch in Berlin-Marzahn.
Jessi ist Anfang zwanzig, ihre Söhne sind ein und zwei Jahre alt. Sie hat einen Minijob als Putzfrau. Die Kinder spielen im Garten der Kita, die Eltern warten oben im Elterncafé. An dem großzügig geschnittenen Raum mit amerikanischer Küche, Sofaecke und Esstisch ist nichts Ungewöhnliches, außer dass er jederzeit von Eltern inner- und außerhalb der Kita benutzt werden kann. "Ick hab gehört, dass man hier auch Kindergeburtstag feiern kann", sagt Jessi. Und überlegt, ob das eine gute Idee wäre.
Es wäre jedenfalls möglich in der Kita Felix des Humanistischen Verbandes in Berlin-Marzahn. Die Kita ist nämlich mehr als eine Kita, es ist ein "Familienhaus Felix". Dort werden nicht nur Kinder betreut - sondern auch Eltern. Es ist eine Kopie der britischen early excellence centers für Kinder und Eltern, die in Deutschland langsam bekannter werden.
Den Anstoß gaben 2007 die Erzieherinnen, die immer mehr Kinder betreuten, die ohne Frühstück kamen, kein Geld für Veranstaltungen dabei hatten und auch gravierende Störungen von zu Hause mit in die Kita brachten. "Wir haben eine versteckte Armut, viele Eltern stehen gesellschaftlich im Abseits", erzählt die Leiterin der Kindertagesstätte Cornelia Koch.
"Uns war klar, wir müssen etwas für die Familien tun", berichtet Koch. Die zum Teil brachliegenden Potenziale der Eltern als Erziehungsexperten sollten gestärkt werden. Irgendwann, so die Vision, sollen Eltern selbst den Großteil der Elternarabeit im Familienzentrum organisieren. Damit sie nicht wie Besserwisser über die Mütter und Väter herfallen, haben sich die Erzieherinnen erst mal selbst schlaugemacht: Wie kommuniziert man mit Eltern, was ist Armut. "Wir wollen die Eltern begleiten, nicht bevormunden." In der Kita gehören auch Sozialarbeiter, Mitarbeiter des Jugendamtes, Therapeuten oder Kinderärzte zum Team. Ein Stadtplan mit roten Bindfäden zeigt, wie die Kita ihr Netz in den Bezirk gesponnen hat. "Wir sind nicht irgendein Elterntreff, wir sind ein zentraler öffentlicher Raum im Quartier", sagt die Projektleiterin des Familientreffs Kathrin Ambrosius.
"Wenn ich Bildungsministerin wäre, dann würden an allen Kitas der Bundesrepublik solche Eltern-Kind-Zentren entstehen." Verspricht Andrea Nahles. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende ist für Bildung und Integration zuständig in Frank-Walter Steinmeiers Kompetenzteam - wie der SPD-Kanzlerkandidat sein Schattenkabinett nennt . Wenn Nahles nach dem 27. September in irgendeiner Konstellation tatsächlich die Schlüssel des Bildungsministeriums überreicht bekäme, würde sie als erste Amtshandlung solche Elternzentren einrichten lassen und zweitens Sozialarbeiter an jede Schule, die sie braucht, entsenden, sagt sie im Gespräch.
Nahles wirkt sehr entschlossen, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Nahles, die sich bestens mit dem Gesundheitsfonds auskennt, aber kaum mit frühkindlicher Bildung zu tun hatte, hat ihre Sommerreise flugs zu einer Bildungsreise umgewidmet. Dabei hat sie auch mit Kitaerzieherinnen und Sozialarbeiterinnen gesprochen und sich in ihrer Partei rückversichert: An den immerhin 5 Milliarden Euro, die Elternzentren für die Kitas und ein Heer Sozialarbeiter für die Schulen kostet, würde es nicht scheitern. "Es ist alles vorbereitet. Wir könnten sofort loslegen." Egal in welcher Konstellation - ein "Ministerium für Bildung und Integration" sei für die SPD wichtig.
Nahles, das spürt man, will das. Mit dem Schwung ihrer jugendlichen 39 Jahre rüttelt sie am Stuhl der Amtsinhaberin, der 54-jährigen Annette Schavan von der CDU. Schavan hat in den vergangenen vier Jahren vor allem als Forschungsministerin reüssiert und erfolgreich die Förderung der Hoch- und Höchstqualifizierten vorangetrieben.
Nahles würde gern die Felder beackern, für die die blitzgescheite Theologin Schavan einfach kein Interesse aufbrachte: Weiterbildung und Sozialarbeit. Auf die fiktive Zusammenlegung von Integrations- und Bildungsministerium ist die ambitionierte Nachwuchsbildungsexpertin besonders stolz: "Damit wird deutlich, dass erfolgreiche Integration vor allem über die Bildung gelingt", sagt Nahles.
Also Familienzentren an allen Berliner Kitas? "Nee", wehrt Kitaleiterin Koch ab. Das sei gar nicht nötig, vielmehr sei die Nachbarkita gerade dabei, sich mit dem hiesigen Familienzentrum zu vernetzen. Sprich: statt neue Spinnen zu züchten, sollen die existierenden erst einmal aufgepäppelt werden. Die Erzieherinnen leisteten ihre neuen Aufgaben als Familienexperten bisher zusätzlich und damit quasi ehrenamtlich ab, sagt Koch. "Das verlangt den Kolleginnen sehr viel Engagement ab", formuliert sie vorsichtig. Zudem sind die 130.000 Euro, die der Humanistische Verband und die EU ingesamt für zwei Jahre für Honorare, Material und eine halbe Projektleiterstelle genehmigt hatten, im Dezember verbraucht. Jetzt im September weiß in der Kita Felix noch keiner, wie und ob die Elternarbeit weitergeht.
Pläne der SPD
An diesem Dienstag schließt die Kita ausnahmsweise um 14 Uhr. Das Berliner Kitabündnis hat zur Demonstration aufgerufen. Vor das Rote Rathaus, den Amtssitz von SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit, ziehen Erzieherinnen, Eltern und Kinder aus ganz Berlin. Um Familienzentren geht es dabei nur am Rand. Zunächst wollen die Demonstranten ausreichend Personal, um das Bildungsprogramm umzusetzen. Der hochgelobte Katalog zur Frühförderung gilt in Berlin seit 2006 - verabschiedet von Linkspartei und SPD.
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