Laufen gegen die Angst: Training als Therapie
Forscher stellen fest, dass Sport gegen Panikattacken und zur Bekämpfung von Angststörungen eingesetzt werden kann. Und das ganz ohne Nebenwirkungen
BERLIN taz Meistens überkommt sie Angelika Meiser ganz plötzlich: diese wahnsinnige Furcht, auf der Stelle sterben zu müssen. Eine Panik, die sie nicht mehr klar denken lässt. Die 41-Jährige leidet unter Angststörungen. Aus teilweise unerklärlichen Gründen treten körperliche Beschwerden auf. Doch seit sie gezielt Sport treibt, hat sie ihre Krankheit viel besser im Griff.
"Früher hatte ich das ganze Programm", beschreibt sie, "Herzrasen, Angstschweiß, Zittern, so dass ich dachte, jetzt falle ich gleich um. Aber das ist jetzt Gott sei Dank nicht mehr so schlimm." Nur noch Beklemmungen habe sie von Zeit zu Zeit, aber die bekomme sie ganz gut in den Griff. Angelika Meiser hat an einer Studie der Berliner Charité teilgenommen, in der die Wirkung von Sport bei Angstpatienten untersucht wurde. Hierbei wurde zuerst bei gesunden Menschen getestet, wie Sport eine Panikattacke beeinflusst. Diese wurde durch eine Spritze herbeigeführt, die das Stresshormonsystem stimuliert.
Der Mediziner Christian Feller, der die Studie durchgeführt hat, erklärt, dass bei gesunden Probanden durch eine einmalige Betätigung auf dem Laufband die Symptome von Panikattacken deutlich reduziert wurden. Im zweiten Teil der Untersuchung wurde Patienten, die an einer Angststörung leiden, mit Sport behandelt. Das Ergebnis ist vielversprechend: "Auch bei Patienten, die wirklich unter einer Panikstörung leiden, hat Sport einen akut antipanischen, angstlösenden Effekt", sagt Christian Feller.
Die Studie ist die erste detaillierte Untersuchung über den Zusammenhang von Bewegung und Angststörungen. Bisher wurde vorwiegend der Effekt von körperlicher Betätigung für Menschen mit Depressionen erforscht. Bei beiden Erkrankungen hat der Sport ähnliche Wirkungen wie Medikamente. "Es gibt zum Beispiel im Rahmen der Panikerkrankung ein Ungleichgewicht im Serotonin-Haushalt", erklärt Christian Feller, "und dieses Ungleichgewicht, diese Überempfindlichkeit von Rezeptoren im Gehirn, die bei Panikpatienten vorliegt, lassen sich eben durch bestimmte Medikamente wieder ausgleichen - aber eben auch durch regelmäßiges Treiben von Sport."
Doch es sind nicht nur chemische und hormonelle Vorgänge, die Bewegung im Körper der Patienten in Gang bringen. Man kann es auch psychologisch gut erklären: Wenn ein Patient beim Sporttreiben bemerkt, dass er schwitzt, dass sein Herz schnell schlägt, dass er schnell atmet und dass anschließend nichts passiert, dann wird er anschließend weniger Angst vor diesen Symptomen haben, die eben auch bei einer Panikattacke auftreten.
"Bei Angststörungen ist es therapeutisch das Entscheidende, dass sich die Patienten ihrer Angst stellen", sagt Feller. "Es ist wichtig, dass sie ihre Beschwerden durchstehen und dass sie merken, dass sie von selbst wieder aufhören und dass ihnen nichts passiert. Das ist das Allerwichtigste."
Eine medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung kann der Sport allerdings nicht ersetzen. Viel Bewegung - vor allem im unteren bis mittleren aeroben Leistungsbereich wie Laufen oder Radfahren - kann jedoch medizinische Maßnahmen ergänzen und damit möglicherweise den Medikamenteneinsatz reduzieren. Vorausgesetzt, der Patient ist überhaupt in der Lage, Sport zu treiben. Nicht immer ist das bei Menschen mit Angststörungen der Fall. Auch Angelika Meiser muss sich hin und wieder überwinden: "Manchmal will ich auf mein Fahrrad steigen, doch dann kommt sofort ein Moment, wo ich denke: Uh, ich packe das nicht. Aber in neun von zehn Fällen kriege ich das hin."
Durch Sport können Patienten aktiv etwas gegen ihre Krankheit tun. Christian Feller und seine Kollegen von der Charité wünschen sich, dass Sport künftig noch intensiver und gezielter von Ärzten eingesetzt wird, um Menschen mit psychischen Problemen zu behandeln. Die Berliner Ärzte suchen weitere Menschen mit Angststörungen, um die therapeutischen Wirkungen von Sport noch gründlicher zu erforschen. Denn körperliche Bewegung hat - im Gegensatz zu Medikamenten - keine Nebenwirkungen.
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