Laßt den Kindern ihre Masern!

■ Masernepidemie in Bremen / „Durchimpfen!“ sagt die Weltgesundheitsorganisation / Kinderarzt Klaus Thies hat eine abweichende Meinung

Zuerst fängt das Kind an zu husten, dann bekommt es Fieber, und plötzlich befällt es ein Ausschlag von Kopf bis Fuß und Durchfall – o Schreck, Masern! Seit Januar beobachten Bremer Kinderärzte wieder einmal eine Masernepidemie. Masern: das sind zweieinhalb Wochen Krise mit teils sehr hohem Fieber. Zweieinhalb Wochen Sorgen, jeder hat schon einmal von der Gefahr einer Hirnhautentzündung gehört, manche Kinder bekommen Fieberkrämpfe, in der Dritten Welt sterben heute noch Millionen Kinder an Masern. Zweieinhalb Wochen Stress, ein Erwachsener hat Anwesenheitspflicht, auch wenn beide Eltern arbeiten. Und eventuell ist der Urlaub im Eimer. Muß denn das alles sein? Nein: Man kann ja impfen.

„Masern, Mumps und Röteln – ist Ihr Kind schon geimpft?“ In den Kinderarztpraxen hängt die Impfaufforderung gut sichbar. Die Kassen zahlen. Der Pieks ist schnell vergessen. Nebenwirkungen sind fast null. Na also! Doch es gibt auch Ärtze, die eine abweichende Meinung vertreten. Zum Beispiel Klaus Thies, Kinderarzt mit einer Praxis in der Neustadt.

„Masern sind etwas Gutes,“ predigt Thies den besorgten Eltern. Mit allem Nachdruck setzt er sich seit 12 Jahren dafür ein, daß den Kindern die Kinderkrankheiten gelassen werden. Einen Fall von Hirnhautentzündung nach Masern hatte er nicht in dieser Zeit, das Risiko, sagt er, stehe in keinem Verhältnis etwa zum Straßenverkehrsrisiko.

Thies argumentiert als anthroposophisch orientierter Arzt in einem gewöhnungsbedürftigen Idiom: „Keine andere Krankheit räumt so gründlich mit dem Vererbungsleib auf, den das Kind von den Eltern mitbekommen hat,“ sagt er. Von der Geburt bis zum Zahnwechsel werde der „Leib komplett umgebaut“, ein Vorgang, der durch Masern ungeheuer dynamisiert werde. Masern seien ein „Entwicklungshelfer“. Tatsächlich entspricht es ja den Beobachtungen vieler Eltern, daß ihr Kind nach schweren Krankheiten einen mächtigen Entwicklungsschub tut.

Thies, der selbst vier Kinder hat, lobt auch das hohe Fieber. „Nicht senken!“ empfiehlt er. Ausnahme: Kinder, die zu Fieberkrämpfen neigen. Da müßten die Eltern eben „Gewehr bei Fuß“ stehen, meint: kalte Wickel und fiebersenkende Mittel in Reichweite. Das ganze Drama verbinde zudem die Eltern mit dem Kind auf besondere Weise. Ganz im Sinne Rudolf Steiners vermutet Klaus Thies übrigens auch kosmische Einflüsse auf die Masernepidemien. So wie beim Scharlach, der alle 30 Jahre mit Vehemenz ausbreche – im Saturnrhythmus.

Dem Gros der Gesundheitsexperten, zum Beispiel auch der Weltgesundheitsorganisation WHO, erscheinen solche Reden fahrlässig. Sie setzen ganz auf „Durchimpfung“ der kompletten Weltbevölkerung. Ziel: die Ausrottung der Masern. Thies hält mit dem Beispiel USA dagegen, wo es im Gegensatz zu Deutschland eine Impfpflicht gibt. Dort stelle sich jetzt heraus, daß erstens nur eine Durchimpfquote von 90 % erreichbar sei. Und zweitens sei da neuerdings eine Masernepidemie ausgebrochen, die besonders ganz junge Säuglinge betreffe. „Das kennen wir hier nicht.“ Es fehle eben in den USA inzwischen der „Nestschutz“, die Immunisierung der Säuglinge durch ihre Mütter.

Probleme sieht Thies auch, wenn es um die angeblich vernachlässigbaren Nebenwirkungen der Schutzimpfung geht. „Niemand verträgt Fremdeiweiß,“ sagt er. Genau dieses aber gelangt bei der Impfung ins Blut. Und kann möglicherweise ein Grund für spätere Allergien und Neurodermitis sein.

Beim Stichwort „Durchimpfen“ wird gern auch hochmoralisch argumentiert. Wer dagegen ist, kümmere sich nicht um die Millionen Kinder, die in der Dritten Welt an Masern sterben. „Unlauter“ findet Thies solche Reden; diese Kinder stürben nicht an Masern, sondern in erster Linie an Unterernährung. „Wir sollten die Weltwirtschaftsordnung neu überdenken, statt sie durch Impfung zu kaschieren.“ Wobei nicht ausgemacht ist, daß das Überdenken der Weltwirtschaftsordnung diesen Kindern mehr Nutzen bringt. BuS