Las Vegas in der Krise: Gebaut für Verlierer
Das Geld sitzt nicht mehr so locker in der Sündenstadt Las Vegas. Die Stadt kann das neueste Bauprojekt nicht bezahlen. Und die Besucher stauben am liebsten Gratisgeschenke ab.
Las Vegas, das gigantische Mekka der Spieler, ist ein einziges Denkmal des Exzesses. An der Hauptmeile, dem Strip, steht eine Stahl-und-Betonkonstruktion so gewaltigen Ausmaßes, dass man meinen könnte, hier bauen sie neben Schneewittchens Schloss und Venedig jetzt auch noch den Kampfstern Galactica. Es ist das neue City Centre. Die Stadt in der Stadt, von Stararchitekten wie Daniel Libeskind, Helmut Jahn und Norman Foster entworfen, soll an die acht Milliarden Dollar kosten. "Holy shit", sagen manche davorstehende Touristen. Sie starren auf das teuerste private Bauprojekt in der Geschichte Amerikas. Geldgeber sind unter anderen der berüchtigte Tycoon Kirk Kerkorian und die Dubai World Inc.
"Das ist doch die völlig falsche Zeit für so was", sagt ein Besucher aus Texas und schüttelt den Kopf, nachdem er die Baubeschreibung gelesen hat. In der Hand hält er wie zahlreiche andere an diesem Samstagabend ein ellengroßes Trinkgefäß in der Form eines Laborkolbens. Gelegentlich nuckelt er an seinem Cocktail. Den Spaß will er sich jetzt nicht mit trüben Gedanken vermiesen lassen. "Hey guys", ruft er seine Kumpel und verschwindet mit ihnen grölend in der nächsten Spielhölle. Eines der geplanten Hotels, das Cosmopolitan, ist bereits von Zwangsversteigerung bedroht, Las Vegas ist mit seinen Zahlungen für das Gesamtprojekt schon mit 35 Millionen Dollar im Rückstand.
1931 wurde im depressionsgeschüttelten Las Vegas das Glücksspiel legalisiert. Ihre Reputation und Aufstellung verdankt die Stadt seit dem Zweiten Weltkrieg ausschließlich solchen Größen des organisierten Verbrechens wie Bugsy Siegel und Meyer Lansky. Die Ära der Megaresort-Kasinos begann erst 1989 mit der Eröffnung des The Mirage.
Bereits im Jahr 2007 lief das chinesische Macau mit einem Jahresgewinn von über 10 Milliarden Dollar Las Vegas den Rang ab, das seitdem immer mehr in traditionellen Resort-Tourismus investierte.
Die 1,83 Millionen Einwohner zählende Metropole gilt als die am schnellsten wachsende Stadt der USA. Gegenwärtig ergehen in der Stadt 3.500 bis 4.000 Zwangsräumungsanweisungen monatlich an das zuständige Sheriff-Büro.
Mit solch drückender Krise könnte das traditionell republikanisch wählende Nevada für Barack Obama der politische Hauptgewinn werden: Gegenwärtig führt er im Wüstenstaat 3,3 Prozent vor seinem Rivalen McCain. AW
Dass es nicht gut steht um die jährlich von 38 Millionen Touristen besuchte Sündenstadt, das weiß keiner so gut wie Larry Provenzano. Der etwas aufgedunsene 62-Jährige ist seit sieben Jahren hauptberuflich "Promoter". Jeden Abend steht er auf den Bürgersteigen des Strip und versucht, Passanten wahlweise in gehobene Lounges, Nightclubs, Shows oder sonst was zu schicken, was Geld kostet. Wer sich von ihm ansprechen lässt, bekommt einen Gutschein für einen Gratiseintritt zu den Etablissements, die Larry repräsentiert. In seinem speckigen Visitenkarten-Büchlein sind vorne die kinderfreundlichen Restaurants und hinten die Clubs mit Eskort-Services. "Noch letztes Jahr steckten mir Leute Trinkgeld zu, einfach so, fünf Dollar, zehn Dollar. Da ging ich Samstagabends mit 700 Dollar Trinkgeld nach Hause." Larry ist froh, dass er wenigstens etwas reden kann, an diesem ereignislosen Abend.
Von diesen vielen rauschenden Nächten in Vegas konnte er, der nach Suff und Scheidung in New York ausgerechnet hier auf der Exzessmeile wieder Boden unter die Füße bekam, sich vor drei Jahren ein nettes Einfamilienhaus kaufen. Larry wedelt mit Eintrittsbons nach vorbeigehenden Männern, doch keiner greift zu. "Für mein Haus habe ich damals 300.000 Dollar geblecht. Neulich komme ich nach Hause und sehe, dass das Haus meines Nachbarn, so groß wie meins, zwangsversteigert wurde. Ganze 120.000 bekam er dafür!", dröhnt Larry. "Na, jetzt weiß ich, was meine Hütte wert ist. Ich zahle jetzt was ab, was ich gar nicht mehr habe. Ey, gute Nacht sage ich da nur."
Hinter ihm, auf einer großen Leuchtreklamesäule blinken abwechselnd die Tänzerinnen vom Crazy Horse und Werbung für riesige Cash-Gewinne. Unten an der Säule kreist in ungerührter Gleichmut neuerdings ein Leuchtband mit den Börsenwerten. Die meisten Pfeile zeigen nach unten. Las Vegas ringt hart darum, so zu tun, als gäbe es jenseits der Mojave-Wüste keine Welt mehr.
Aus dem Ceasars Palace Casino kommen cocktailschwingend Dimple und Jennifer, zwei Schwestern aus Florida in ihren besten Jahren. Ihre Männer sind schon vorgegangen und schlendern bereits in der angrenzenden Edel-Shoppingmall herum. "Na klar haben wir gezockt, was denkst du denn?", kichert Dimple und trinkt von ihrem Appletini. Zuerst haben beide gar keine Lust, auf die Frage nach der Finanzkrise zu antworten. Dann packt sie der Galgenhumor. "Hey, Darling, mein Rentenfonds hat sich aufgelöst, klar?", fragt sie und lacht. Die Vegas-Tickets hatte das Quartett schon im Juni gekauft und bezahlt. Natürlich werden sie in Zukunft etwas kürzer treten, "aber nicht so viel", wirft Jennifer von hinten ein. "Hey, das wird schon wieder, sag ich immer", antwortet ihr Dimple. Dann wollen sie nicht mehr über ernste Sachen reden und ziehen weiter.
Unter dem nachgebauten Eifelturm vor dem Kasino Paris kommen händchenhaltend Jodi und Allen angeschlendert. Das Ehepaar aus Massachusetts macht, nachdem es vor 14 Jahren in einer Autokapelle in Vegas geheiratet hatte, zum ersten Mal wieder Urlaub in Sincity. Beide sind selbstständig und haben ihre zwei kleinen Kinder zu Hause bei der Oma gelassen. Ihr Ziel? In der verrücktesten Stadt der Welt einen draufzumachen. Auch sie sind aufgekratzt, aber die Probleme der Realität haben sie nicht ganz zu Hause lassen können. Auch ihr Rentenfonds ist futsch, ebenso hat sich der Collegefonds für die beiden Kleinkinder mehr als halbiert. "Wir haben so lange keinen Urlaub mehr gemacht, das musste jetzt trotzdem sein, außerdem hatten wir schon vor Monaten gebucht", erklärt Jodi.
Obwohl Allen eher zum republikanischen Kandidaten McCain tendiert, - "er ist der tumbe von uns beiden", sagt Jodi, die selbst für Obama stimmen wird -, sind sie sich in einer Hoffnung einig: Sobald George W. Bush weg ist, wird sowieso schon mal alles besser. Beide haben vorher verabredet, wie viel sie in den Kasinos auf den Kopf hauen wollen. "Natürlich haben wir schon fast alles verloren", sagt Jodi lachend. "Na ja, es hätte ja sein können, dass wir einen Jackpot knacken", wirft Allen scherzend ein.
Anders als Jodi und Allen aus dem Nordosten glauben viele lateinamerikanische Migranten in Las Vegas nicht mehr, dass ihr American Dream, in den Wahlkampfreden der Kandidaten so oft beschrieben, noch einmal wahr werden könnte. Noch hat Pedro seinen Job im eher drittklassigen Kasino Arizona Charlie. Sein Bruder Juan, der im renommierteren Flamingo arbeitete, wurde schon vor Wochen gekündigt, weil es zu wenig Arbeit gab. Sein Auto hat Juan bereits verkaufen müssen, um die sich schnell häufenden Schulden zu tilgen, doch bald drohe ihm die Zwangsräumung, erzählt Pedro und seufzt.
"In meiner Straße sind überall Zwangsversteigerungen, mein Nachbar musste neulich raus, gegenüber haben Chinesen gekauft. Und ich muss mir jetzt eine billige Wohnung suchen, damit ich meinem Bruder helfen kann. Aber ich frage mich, wie ich einen Mietvertrag bekommen soll angesichts meines Kreditreports, der zeigt, dass ich meine Hypothekenschulden zweimal nicht bedienen konnte." Pedro arbeitet an der Rezeption des verqualmten Kasinos und ist eigentlich froh, so einen guten Job zu haben. Am 4. November will er auf jeden Fall für Obama stimmen, denn "das Land braucht dringend einen Kurswechsel", meint er und schaut ernst.
Wie er, der seit fünf Jahren US-Bürger ist, wollen viele wahlberechtigte Latinos für den Demokraten Obama stimmen. Und da in den letzten Jahren immer mehr lateinamerikanische Migranten in den Süden des US-Bundesstaates Nevada gezogen sind, könnten sie erstmals die politische Tradition des Republikaner-Wählens zum Kippen bringen. Angelockt hatte die Einwanderer in den vergangenen Jahren die von den Wirtschaftsflauten der Vergangenheit zumeist unbeeindruckte Boomstadt Vegas mit ihren tausenden Jobs in der Tourismusindustrie. Seit einigen Jahren galt daher ausgerechnet Sincity, Sündenstadt, wie sich Vegas kokett gerne selbst nennt, als die am schnellsten expandierende Stadt der USA.
Noch im Jahr 2004 hatte Georg W. Bush Nevada mit großer Mehrheit und der Unterstützung der weißen Kasino-Eliten gewonnen. 2008 könnte das Wahlergebnis schon ganz anders aussehen. Latinos, die rund 12 Prozent der eingetragenen Wählenden dieses dünn besiedelten Staates ausmachen, tendieren mehrheitlich zu Barack Obama, fanden Wahlforscher heraus. "Wie kann McCain sagen, dass die Wirtschaft auf einem guten Fundament steht, wenn hier alles den Bach runter geht", fragt Pedro und schüttelt den Kopf. Er ist wie McCain gegen Abtreibung und für konservative Familienwerte und er mag den alten Senator aus Arizona. Aber diesmal, sorry, "geht es einzig um die Wirtschaft und wie wir hier wieder rauskommen aus dem Schlamassel", meint er.
Rosie und Burt Steward sind schon um 8 Uhr morgens im Arizona Charlie Casino gewesen. Gelockt hat das Rentnerpaar aus den südlichen Vororten die Gratiseieruhr, die das Kasino heute Morgen verschenkt. "Montags gibt es immer was umsonst", sagen sie scheu. Rosie hat davon zwei unterm Arm. Sie hält sie fest wie ein kostbares Gut. "Wir kommen regelmäßig hierher", erzählt Burt, der vor vielen Jahren mal bei 3M gearbeitet hat. Es sei so eine Art Zeitvertreib, meint er. Für sie gab es daher heute Morgen auch 100 Dollar Cash-back, die sie gleich wieder verspielt haben. "Ja, man muss wissen, wie viel zu verlieren man sich leisten kann", sagt Burt und lacht kaum merklich. Rosie mag nicht über ihre finanzielle Situation reden, sie drängt Burt, endlich in den betagten Dodge einzusteigen, und die Plastikeieruhren in Sicherheit zu bringen.
Downtown wird seit Sonnenaufgang schon wieder kräftig am Kampfstern Galactica gehämmert und geschweißt. Kürzlich sind auf der Baustelle neun Latino-Arbeiter verunglückt. "Deren Leben zählt hier nicht viel", sagt Pedro. Wer nach Las Vegas komme, lebe eben gefährlich, sagt er bedächtig. "Die Stadt ist ja nicht für Gewinner gebaut. Las Vegas ist für Verlierer gebaut."
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