Land und Bezirke streiten ums Geld: Herr Berlin und die Frauen Bezirke
Senat und Bezirksämter streiten seit Jahren um die Ausstattung der Bezirke. Die Analyse einer patriarchalen Machtstruktur.
Das Verhältnis zwischen dem Land Berlin und den zwölf Bezirken ist erklärungsbedürftig. Für Außenstehende gehören beide untrennbar zusammen. Dennoch streiten sie sich seit Jahren. Mal um die Zahl der Stadträte. Mal um die Zusammensetzung der Bezirksämter. Vor allem aber ums Geld. Davon haben wir zu wenig, jammern Vertreter der Bezirke. Das ist gelogen, behaupten die Vertreter des Landes. Es klingt wie bei einem alten zerstrittenen Ehepaar.
Für die Vertreter der zwölf Berliner Bezirke geht es am heutigen Mittwoch mal wieder ans Eingemachte. Der für die Finanzen des Landes zuständige Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses berät über die "Nachschau der Bezirkshaushaltspläne".
Erst vor kurzem hat der Senat beschlossen, dass die Bezirksämter ab 2011 nur noch vier Stadträte haben dürfen. Das soll jährlich 2,4 Millionen Euro sparen.
Bisher bestehen die Bezirksämter aus einem Bürgermeister und fünf Stadträten. Die Posten werden proportional zur Größe der Fraktionen im Bezirksparlament vergeben. Ab 2011 sollen erstmals politische Koalitionen die Bezirksregierungen stellen. Für die Einführung dieses "politischen Bezirksamtes" wurde 2006 in einer Volksabstimmung extra die Landesverfassung geändert. SPD-Landeschef Michael Müller hat die Umsetzung dieser Reform nun in Frage gestellt.
Und wer hat Recht? Der Stärkere hat Recht. Der, der der Herr im Haus ist. Im vorliegenden Falle ist das das Land. Man muss sich das Verhältnis zwischen den Berliner Bezirken, vertreten durch die Bürgermeister und die Stadträte, und dem Land Berlin, vertreten durch den Senat, nämlich als Vielehe eines Mannes vorstellen, des Herrn Berlin, mit zwölf Frauen. Der Frau Mitte, der Frau Reinickendorf, der Frau Neukölln und so weiter. In dieser Vielehe gilt ganz altes, patriarchales Eherecht.
Wer bestimmt in dieser Liaison über das Geld? Selbstverständlich hat der Mann das Sagen. Steuereinnahmen oder EU-Zuschüsse fließen auf sein Konto. Das Konto lässt Herr Berlin von Thilo Sarrazin verwalten.
Was passiert, wenn die Frauen Bezirke durch Gebühren doch etwas Geld einnehmen? Dann fließt es, wie es sich bei einem solch alten Ehemodell gehört, auf das Konto des Mannes. Oder es wird mit dem Haushaltsgeld verrechnet, das Herr Berlin seinen Bezirksfrauen gibt.
Wie kommen die Frauen Bezirke an ihr Geld? Wie in jeder ungleichen Beziehung entscheidet der, der die Macht hat, wie das Geld verteilt wird. In diesem Fall Herr Berlin und seine Senatoren. Sie hocken zusammen und entscheiden, wie viel die jeweiligen Damen, Frau Neukölln, Frau Pankow, Frau Steglitz, Frau Marzahn-Hellersdorf und so weiter, in ihre Haushaltskasse bekommen.
Können die Frauen Bezirke mit dem Geld denn machen, was sie wollen? Um Gottes Willen, schön wäre es. Herr Berlin, als Repräsentant der Einheitsgemeinde Berlin, glaubt aber an etwas, was er "zweistufige Verwaltung" nennt. Soll heißen: Er hat die Pflichten geteilt. Einen großen Teil seiner Aufgaben hat er den Bezirken aufgehalst. Weil er aber das Geld hat, entscheidet er, wie viel seine Frauen Bezirke für die Erledigung der Aufgaben zur Verfügung stehen.
Welche Aufgaben erledigen denn die Frauen Bezirke? Sie machen, wie es sich für Ehefrauen gehört, all das, was als Daseinsfürsorge gilt. Sie machen die Hausarbeit. Sie putzen - die Parks, die Spielplätze, die Schulen, die Seniorenheime. Sie sorgen dafür, dass etwas zum Essen auf dem Tisch steht - in den Sozialämtern und den Anlaufstellen für Bedürftige. Sie achten darauf, dass die Kinder, das sind die Bürger und Bürgerinnen, etwas lernen - in den Bibliotheken und Volkshochschulen. Sie machen kleine Reparaturen - auf Straßen zum Beispiel. Sie führen Buch über ihre Aufgaben - etwa auf den Bürgerämtern. Sie machen die ganze Rekreationsarbeit für Herrn Berlin - auf den Jugendberatungsstellen, den psychosozialen Diensten, den Drogenberatungsstellen, den Schulstationen.
Welche Aufgaben erledigt Herr Berlin denn dann noch selbst? Wie es sich für einen Pascha gehört, ist Herr Berlin nur mit großen, repräsentativen Dingen beschäftigt. Mit Flughäfen etwa. Oder mit Opern, Kunsthallen und Schlössern. Neulich hat er sich auch neue Autos gekauft. Gern sitzt er zudem mit seinen engsten Beratern zusammen und stellt neue Regeln auf, die am besten für alle gelten, nur nicht für ihn selbst. Wie im Fall der Autos, die er gekauft hat. Sie erfüllen nicht die geforderten Umweltauflagen. In diesen Kungelrunden von Herr Berlin wird dann auch immer gern mal darüber diskutiert, wie er seine Frauen weiter an die Kandare legen kann. Denn er hat Angst, dass der Geist der Emanzipation auf sie überschwappen könnte. Dass sie das Recht auf ein eigenes Bankkonto fordern könnten etwa. Oder gar Mitbestimmung. Von Scheidung gar nicht zu sprechen.
Können die Frauen Bezirke denn gar nichts selbst entscheiden? Nun gut, wir wollen die Macht der Frauen nicht unterschätzen. Herr Berlin hat ihnen das Haushaltsgeld in den letzten Jahren überwiesen. Wenn auch jährlich weniger. Auch die Zahl der Bediensteten im Personalbereich hat Herr Berlin den Frauen Bezirken kontinuierlich gekürzt. Aber - und das ist wieder nicht verwunderlich - Herr Berlin hat den Frauen Bezirken das Geld einfach hingeworfen. So nach dem Motto: "Mehr gibt es nicht. Guckt, wie ihr zurechtkommt." Die Frauen Bezirke durften das wenige Geld also autonom verteilen. Diese Entscheidungsfreiheit haben sie. Not hat sie jahrelang erfinderisch gemacht und sie haben die Löcher eben irgendwie gestopft.
Das klingt doch so, als hätten sich die Frauen Bezirke mit dem Herrn Berlin arrangiert. Nicht ganz. Herr Berlin hat nämlich viele Schulden. Trotzdem protzt er gerne und will an vorderster Front mitspielen, wenn es darum geht, modern und mondän zu sein. Wenn er etwa findet, dass eine Straße geflickt werden muss, damit er in seiner Karosse sanft darüber gleiten kann, dann befiehlt er seinen Frauen, die Straße zu flicken, auch wenn diese lieber das Dach einer Grundschule mit dem Geld reparieren würden. Seit Jahren pfuscht Herr Berlin den Frauen Bezirke so in die Haushaltsführung, ohne ihnen für die Erfüllung seiner Wünsche mehr Geld zu geben. Neuerdings will Herr Berlin mit solchen Dingen prahlen wie der Umweltzone. Oder dem Nichtraucherschutz. Oder besserer Vorschulintegration von Migrantenkindern - man tut ja was für die Kleinen. Seine Frauen sollen dafür sorgen, dass das alles auch eingehalten wird. Eine angemessene Aufstockung des Haushaltsgeldes kriegen die Frauen Bezirke dafür nicht.
Gibt es wirklich keinen Bereich, in dem die Frauen bestimmen? Doch. Den Bau- und Planungsbereich haben sich die Frauen Bezirke bisher nicht komplett aus den Händen nehmen lassen. Sie müssen ja Haus und Hof bestellen. Deshalb dürfen sie eigentlich bestimmen, wenn jemand irgendwo einen Stall, einen Supermarkt, ein Firmenzentrum oder sonst etwas bauen will. Passen Herrn Berlin allerdings die Entscheidungen seiner Frauen nicht, geht er hin und sagt zu dem Bauherren: "Am besten wir regeln das mal von Mann zu Mann." So entzieht er den Frauen Bezirken immer wieder die Zuständigkeit.
Halten die Frauen Bezirke denn wenigstens zusammen? Schön wäre es. Wie in jeder Vielehe sind die Frauen untereinander Rivalinnen. Herr Berlin schürt dieses Feuer noch. Behauptet eine Frau etwa, sie käme bei einer bestimmten Aufgabe mit weniger Haushaltsgeld aus, kürzt er den anderen Frauen Bezirken die Zuwendung proportional. So ruinieren sich die Frauen Bezirke noch gegenseitig, weil jede die Lieblingsfrau von Herrn Berlin sein will.
Gibt es wirklich keinen Protest dagegen? Doch, Protest gibt es. Aber die Frauen Bezirke haben keine Lobby. Werden die Frauen Bezirke zu aufmüpfig, denkt sich Herr Berlin neue Schikanen aus. Demnächst sollen die Frauen Bezirke einen Berater, Stadtrat heißt er, weniger bekommen. Das spart, sagt Herr Berlin, zig Millionen. Gleich werden sie den Frauen vom Haushaltsgeld abgezogen.
Gibt es absolut keine Emanzipationsbestrebungen der Frauen Bezirke? Eigentlich nicht. Bisher ist es so, dass die Frauen Bezirke sich noch nicht einmal ihre Berater selbst suchen durften. Die Berater mussten von allen gewählten Parteien sein. Herr Berlin will ja nicht, dass eine Frau sich einen eigenen Hofstaat aufbaut. Ab 2011 wollte Herr Berlin den Frauen Bezirken dies aber, als kleine Lockerung seines strengen Regimes, erlauben. "Politisches Bezirksamt" nennt sich diese neue Beraterstruktur von Frau Bezirk. Neuerdings aber macht die Kungelrunde um Herrn Berlin einen Rückzieher. Sie fürchtet doch einen zu großen Machtverlust für Herrn Berlin.
Wie sieht die Zukunft für die Frauen Bezirke denn überhaupt aus? Sie ist ungewiss. Bekannt ist, dass Herr Berlins persönliche Neigungen eigentlich Männern gilt. Deshalb reduziert er auch nach Gutdünken die Zahl seiner Frauen. Früher hatte er 23. Jetzt sind es noch zwölf. Immer wieder lässt er verlauten: Weniger täten es auch. Herr Berlin ist eindeutig schwul. Deshalb umwirbt er in Wirklichkeit auch noch immer Herrn Brandenburg, obwohl dieser ihm schon einmal einen Korb gab. Sollte Herr Berlin wider Erwarten mit seinem Ansinnen doch noch Erfolg haben, wird es eng für die Frauen Bezirke. Dann werden sie ziemlich sicher bestenfalls die Putzfrauen des neuen Gespanns.
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