: Lammfromme türkische Kommunisten
In der Türkei wurde nach über 70 Jahren eine kommunistische Partei zugelassen / Regierung will damit ihr Image aufpolieren ■ Von Ömer Erzeren
Berlin (taz) - „Wir sind glücklich, wir sind voller Frohmut und Hoffnung.“ Sie gratulierten sich gegenseitig, die beiden türkischen KP-Führer Nihat Sargin und Haydar Kutlu, nachdem sie die Gründungsdokumente der „Vereinigten Kommunistischen Partei“ beim türkischen Innenministerium eingereicht hatten. Nach dem türkischen Parteiengesetz ist die KP nun legal. „Ich bin so beeindruckt, daß ich keine Worte finden kann“, sprach der frischgekürte Vorsitzende der Partei Nihat Sargin.
Über 70 Jahre lang waren kommunistische Parteien in der Türkei illegal. Die aus dem Exil in die Türkei zurückgekehrten Kommunistenführer saßen zweieinhalb Jahre im Gefängnis, bevor sie im Mai dieses Jahres auf freien Fuß gesetzt wurden. Stolz führte die neue KP ihre neue Parteizentrale in Ankara vor - sogar mit richtigem Parteischild. Ganz staatsmännisch auch einer der ersten öffentlichen Auftritte des Parteivorsitzenden Sargin und des Generalsekretärs Kutlu: Am Mausoleum des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk Pflichtveranstaltung jedes putschenden Generals und jedes staatstragenden Politikers - legten sie einen Kranz nieder. Die KP-Führer bemühen sich um Gesprächstermine mit dem türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal und dem Parlamentspräsidenten Kaya Erdem.
Bereits vor drei Jahren hatten führende Mitglieder der regierenden Mutterlandspartei signalisiert, daß sie mit einer domestizierten KP leben können. Während in Türkisch -Kurdistan per Dekret nahezu alle verfassungsrechtlich verbrieften bürgerlichen Rechte und Freiheiten außer Kraft gesetzt werden, Zehntausende Prozesse gegen Regimegegner laufen und Scharen von Staatsanwälten und Polizisten damit beschäftigt sind, oppositionelle Zeitungen mundtot zu machen, erscheint dem Regime die Legalisierung der KP als Allheilmittel, um das aufgrund massiver Menschenrechtsverletzungen diskreditierte Image der Türkei aufzupolieren. Und offenbar wollte da auch die türkische KP kein Spielverderber sein.
Die Frage, ob es in der Türkei eine Demokratie gibt oder nicht, ist für die KP-Führung leicht beantwortet: Gibt es uns als legale Partei oder nicht? Die formelle Legalisierung der türkischen KP ist um so skuriller, als die berüchtigten Strafrechtsparagraphen141 und 142, die „kommunistische Propaganda“ und „kommunistische Organisationen“ mit jahrelangen Gefängnisstrafen belegen, immer noch in Kraft sind. Zwar hat die Regierung eine Liberalisierung dieser Paragraphen in Aussicht gestellt, doch die rigiden Freiheitsstrafen für „separatistische Propaganda“ werden beibehalten. Einige der Betonköpfe des Regimes haben indes noch gar nicht begriffen, worum es bei der Legalisierung geht. Ülkü Coskun, Staatsanwalt beim Staatssicherheitsgericht Ankara, begreift die Welt nicht mehr: „Da können doch nicht 3,5 Lumpen zusammenkommen und eine KP gründen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen