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Archiv-Artikel

Lafontaine im Nazi-Jargon kommentar von christian semler

Kann der Begriff „Fremdarbeiter“ in politischer Rede umstandslos benutzt werden, um ausländische Arbeitskräfte zu bezeichnen, die bei uns zu Dumpinglöhnen eingesetzt werden? Auf keinen Fall. Der Begriff „Fremdarbeiter“ hat einen eindeutigen Sinngehalt. Er bezeichnet in der Nazi-Terminologie summarisch die während des Zweiten Weltkriegs angeworbenen oder nach Deutschland verschleppten Arbeitskräfte. Dieser Umstand hat Oskar Lafontaine keineswegs davon abgehalten, bei einer Wahlkampfrede in Chemnitz von ebendiesem Begriff einen quasi neutralen Gebrauch zu machen.

Seine Rechtfertigung in der heutigen Bild-Zeitung ist künstlich und wenig überzeugend. Er argumentiert, die im Nazismus ausgebeuteten ausländischen Arbeiter seien für ihn, Lafontaine, eben „Zwangsarbeiter“. Dem gegenüber ist festzuhalten, dass für die Nazis „Fremdarbeiter“ der allgemeine Begriff war. Der heutige Begriff „Zwangsarbeiter“ umfasst nur die verschleppten Arbeiter – im Gegensatz zu den KZ-Sklavenarbeitern einerseits, den angeworbenen Arbeitern andererseits. Hier verwirrt Lafontaine nur.

Viel gravierender ist allerdings, dass Lafontaine sich über die Bedeutung des Wortes „fremd“ im nazistischen Sprachgebrauch hinwegsetzt. Das Kompositum „Fremdarbeiter“ hatten die Nazis gebildet, um eine essenzielle Anders- und Minderwertigkeit ausländischer Arbeitskräfte gegenüber dem „deutschen Arbeiter“ sprachlich zu fixieren. Das Wort „Fremdarbeiter“ hatte also eine analoge Funktion zum Begriff „fremdrassig“.

Ein Verdacht kriecht hoch. Es ging hier anscheinend nicht um angemaßte Definitionshoheit, um Unwissenheit oder Mangel an sprachlicher Sensibilität, sondern um kalte Absicht, um das Kalkül, den Rechtsradikalen im NPD-Musterland Sachsen Stimmen abzujagen. Gewiss, PDS und WASG wussten, auf welch unberechenbares Zugpferd sie im Wahlkampf setzen. Aber die matte Distanzierung, eine solche Wortwahl sei mit ihnen „nicht zu machen“, verfehlt vollständig das Ausmaß der Zumutung für ein linkes Wahlbündnis. Zu dessen Selbstverständnis muss die schroffe Abgrenzung gegenüber jeder Form des rechten Populismus gehören.

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