■ Läßt sich in Ruanda und Burundi der Teufelskreis von Unsicherheit und Gewalt durchbrechen? Die ruandische Menschenrechtlerin Monique Mujawamariya fordert ausländische Hilfe, um Ruanda zu einem Rechtsstaat zu verhelfen. Denn Frieden wird es nur geben, wenn das Machtmonopol nie wieder in den Händen einer Ethnie liegt und die „Logik, den Schwächeren zu vernichten“, aufgegeben wird: „Das Übel ist überall die Macht der Armee“
taz: Ihr offener Brief an die ruandische Regierung nach dem Massaker im Flüchtlingslager Kibeho, den die taz und auch die „Washington Post“ und „La Libre Belgique veröffentlicht haben, ist sicherlich auch in Ruanda zur Kenntnis genommen worden. Gab es dort irgendeine Reaktion?
Monique Mujawamariya: Ich habe keine offizielle Antwort, aber ich weiß, daß der Brief denen übermittelt wurde, an die er gerichtet war. Ich habe Reaktionen von Menschenrechtlern und von Leuten, die unterdrückt werden. Sie sagten mir, daß ich die Fragen gestellt habe, die sie selbst gerne gestellt hätten, aber in Anbetracht der Lage nicht stellen können.
Wie ist denn die Lage?
Die Bevölkerung allgemein lebt in absoluter Unsicherheit; auch Tutsi werden bedroht, wenn sie nicht zu denen gehören, die im Ausland lebten und erst nach der Machtergreifung der RPF (Ruandische Patriotische Front) nach Ruanda zurückkehrten. Tutsi, die im Lande den Völkermord überlebten, werden von diesen Rückkehrern als Komplizen der Mörder betrachtet. Die skandalöse These lautet: Daß sie noch leben, beweist ihre Mittäterschaft. Man macht sich nicht die Mühe zu verstehen, daß sie nur deswegen noch leben, weil Hutu sie vor den Mördern versteckt haben.
So kommt es, daß heute Hutu in Ruanda zu sein dasselbe bedeutet wie unter dem Habyarimana-Regime Tutsi gewesen zu sein. Sie werden verfolgt oder zumindest schlecht behandelt, von öffentlichen Aufgaben ausgeschlossen, ins Abseits gedrängt.
Man hat bei manchen Politikern heute das Gefühl, es wären die Zwillingsbrüder des alten Regimes. Das Beispiel der Morde im Flüchtlingslager von Kibeho zeigt, daß sie von Rachegedanken beherrscht sind und ihnen nichts an einer Versöhnung liegt, um das Land wieder aufzubauen. Es ist die Mentalität des Stärkeren, der den Schwächeren vernichtet. Die Besiegten sind im Moment die Hutu und jene Tutsi, die während des Völkermordes im Land blieben.
Wie ist man in so kurzer Zeit in diese Situation geraten? Der Machtwechsel war doch eine große Hoffnung.
Wir haben an eine Veränderung geglaubt, weil wir den Worten und der Botschaft der RPF geglaubt haben. Aber wir hatten keine Gelegenheit, sie nach ihren Taten zu beurteilen. Jetzt, wo sie die Macht ausübt, müssen wir feststellen, daß sie nicht besser ist als die anderen.
Glauben Sie dennoch, daß es eine Lösung geben kann?
Eine Lösung ist immer noch möglich. Das Übel ist überall die Macht der Armee – ob unter Habyarimana in Ruanda oder unter dem gegenwärtigen Regime oder in Burundi. Denn die Logik der Armee ist es immer, den Schwächeren zu vernichten. Wenn es gelingen würde, mit anderen Mitteln zu regieren als mit Mordinstrumenten, wären alle Lösungen möglich. Wenn sich die Armee aus der Politik zurückzieht und die Leute sagen können, wie sie regiert werden wollen, dann lassen sich Lösungen finden.
In Ruanda und Burundi muß jetzt erst mal ein Gleichgewicht der Kräfte gefunden werden. Niemals darf das Machtmonopol in den Händen einer Ethnie liegen, und hier ist die internationale Gemeinschaft gefordert, daß sie auf die Einhaltung der Verträge von Arusha in Ruanda achtet, besonders, was die Armee betrifft, und daß diese Regeln auch auf Burundi angewendet werden. Wenn die Armee quotiert würde, wie es die Verträge von Arusha vorsehen, wären die gegenwärtigen Übergriffe nicht möglich. Auch nicht, wenn es die vorgesehene Machtaufteilung gäbe. Es gibt ja beide Ethnien in Ruandas politischen Fraktionen, selbst bei der Tutsi- dominierten RPF: der Präsident ist ein Hutu; zwei der acht RPF-Ministerien sind von Hutu besetzt, zum Beispiel das Innenministerium. Und bei den eher aus Hutu bestehenden Parteien, die sich unter dem Habyarimana-Regime im Land selbst gebildet hatten, werden wiederum Schlüsselpositionen von Tutsi wahrgenommen. Wenn man ihnen jetzt eine Funktion bei der Machtausübung geben würde, könnte das auch die Frage der Ethnien entmystifizieren, die bei der Unordnung in Ruanda doch nur Sündenbockfunktion hat.
Der wahre Grund der Unordnung und zugleich der Hintergrund des Völkermords ist, daß das Habyarimana-Regime die Macht alleine behalten wollte. Deshalb hat es zuerst die interne Hutu-Opposition enthauptet – darunter meine Freundin, die Übergangsministerpräsidentin Agathe Uwilingiyimana, sowie mehrere Hutu- Minister und Hutu-Politiker. Dann haben sie die Tutsi umgebracht, denn deren bewaffnete Opposition in der RPF war die einzige, die noch übrigblieb. Habyarimanas Kalkül war, der Opposition die Basis zu entziehen, um auch in freien Wahlen die Macht behalten zu können. Das war die Strategie des Völkermordes.
Von Paul Kagame, dem Chef der RPF und jetzigen Vizepräsidenten von Ruanda, sagt man, daß er diszipliniert ist.
Viele Menschen haben auf Kagames Integrität und auf seinen Patriotismus gesetzt. Sein Abgleiten jetzt läßt sich nur erklären aus der Unfähigkeit, gewisse Kräfte niederzuhalten, die ihn umgeben – zum Beispiel die Geldgeber seines Krieges, die inzwischen mehr Einfluß bei der Tutsi-Bevölkerung haben als er selbst.
Die Tutsi, die aus dem Exil zurückgekehrt sind, die nicht den Völkermord miterlebt haben, fordern Rache. Die Tutsi, die im Land überlebt haben, haben ihre Angehörigen verloren, sie haben viel gelitten, aber sie wissen auch, daß sie von Hutu gerettet wurden. Sie fordern nicht, daß man jene ausrottet, denen sie ihr Überleben verdanken. Sie kennen genau die Verantwortlichen des Völkermordes, und sie wissen, daß die Mörder nicht mehr im Lande sind.
Die aus der Emigration Zurückgekommenen kennen dieses Gefühl der Gemeinsamkeit, der Brüderlichkeit nicht, und sie sind es, die jetzt die Aussonderung, ja die Ausrottung der Hutu fordern – Hutu, die sie nicht kennen als Nachbarn, sondern nur als Ethnie.
Wäre nicht ein ganz wichtiger erster Schritt die Suche nach den wirklichen Killern?
Das wäre eine wichtige Aufgabe für die gesamte Menschheit. Man hätte es sofort tun müssen, aber offensichtlich hat es niemanden interessiert. Aber man muß auch sehen, daß die gegenwärtige Regierung in Kigali die Möglichkeit gehabt hätte, die zunehmende Kriminalität im Lande zu begrenzen, indem sie die Täter genau benannt hätte. Statt dessen ließ sie der Parole freien Lauf, „die Hutu“ seien die Mörder.
Wenn man heute verallgemeinert und sagt, „die Hutu“ sind die Mörder, dann will man auch, daß nicht bekannt wird, daß die größten Scharfmacher bei jenen, die den Völkermord ausgeführt haben, Tutsi waren. Der Präsident der „Interahamwe“-Milizen war Robert Kashuga, Sohn eines angesehenen protestantischen Pfarrers aus dem Osten des Landes und Tutsi – aber das sagt man nicht. Der unermüdliche Antreiber der Massenmorde im Süden war ein wohlhabender Unternehmer namens Kamana – auch er ein Tutsi. Dieser angesehene Geschäftsmann und Familienvater ließ Tutsi-Bauern auf den Feldern erschlagen. Nicht „die Hutu“ waren die Mörder, sondern es gab Hutu unter den Mördern, wie es auch Opfer unter den Hutu gab.
Alle reden von Hutu und Tutsi, von 85 Prozent Hutu und 15 Prozent Tutsi. Wo kommen diese ethnischen Aufteilungen und diese Prozentzahlen eigentlich her?
Die Zahlen stammen aus dem Jahr 1936, als die Belgier als Kolonialherren eine Volkszählung durchführten, um festzustellen, wie viele Tutsi und wie viele Hutu es in Ruanda gibt. Ihre damaligen anthropologischen Erklärungen haben ihnen überhaupt nichts genutzt, denn als sie versuchten, als Unterscheidungskriterium die Längen der Nasen zu messen, stellten sie sehr schnell fest, daß es in der herrschenden Königsfamilie der Tutsi sehr viel platte Nasen gab. Also ließ man das wieder fallen. Tutsi wurde dann einfach dadurch definiert, daß man die Kühe gezählt hat: Wer viele Kühe hatte, galt als Tutsi. Das muß sehr komisch gewesen sein, denn es gab Tutsi, die genug Kühe hatten, um einige davon ihren Hutu-Kumpels auszuleihen, damit sie als Tutsi registriert wurden; es gab aber auch Tutsi, die durch Epidemien oder durch politische Machenschaften alle ihre Kühe verloren hatten – die wurden als Hutu registriert. Die Volkszählung war ein Witz, aber auf dieser Lüge haben alle späteren Statistiken aufgebaut.
Sehen Sie überhaupt noch eine Chance für die Zukunft des Landes? Ihre Stiftung hat eine Reihe von Projekten vorgeschlagen. Eines davon ist, die Geschichte Ruandas frei von den gängigen rassistischen Verfälschungen neu zu schreiben – eine Art Geschichte von unten. Das hat bereits begonnen. Ein anderes – Minderjährige aus den Gefängnissen zu holen und sie zu therapieren – haben Sie jetzt Medico International in Frankfurt vorgeschlagen.
Alle unsere Projekte laufen darauf hinaus, den Teufelskreis von Manipulation, Gewalt, Unterwerfung und Rache zu durchbrechen. Es wäre wichtig, daß die Hilfe ausländischer Regierungen und Hilfswerke gezielt an die demokratischen Kräfte geht und diejenigen Fraktionen und Politiker an der Macht boykottiert und isoliert, die wieder in Richtung Militärdiktatur und Völkermord drängen.
Was ist heute die dringendste Aufgabe, wenn man Ruanda sinnvoll helfen will?
Meine größte Angst ist die, daß die Tradition der Straffreiheit, die das neue Regime vom alten übernommen hat, weiter bestehen bleibt, daß also jeder kleine Militär aus seiner Kaserne herauskommen und jemanden umbringen kann, ohne dafür bestraft zu werden. Im Moment wird die Justiz in Ruanda völlig vom Militär beherrscht. Ein Beispiel: Der Richter Gratien Ruhorahoza hat die Haftgründe einiger Gefangener überprüft und juristisch einwandfrei festgestellt, daß keine Haftgründe vorliegen. Sie wurden aus der Haft entlassen – aber schon kurze Zeit später von den Militärs erneut verhaftet und eingesperrt. Der Richter wurde ermordet. Der Generalstaatsanwalt François Xavier Nsanzuwera hat daraufhin eine Prüfungskommission einrichten lassen, die aus Mitgliedern verschiedener Regierungsfraktionen und des Militärs bestand. Auch dieser Lösungsversuch scheiterte am Widerstand des Militärs. Der Staatsanwalt ist jetzt nach Belgien geflohen.
Da brauchen wir nach wie vor dringend ausländische Hilfe. Wir brauchen Richter – möglichst französischsprachig; juristisches Fachpersonal und Polizisten, die mit den wenigen überlebenden ruandischen Juristen zusammen ein Rechtswesen aufbauen, die eine Rechtskultur mit aufbauen könnten, die nach den Buchstaben des Gesetzes urteilt und nicht nach Opportunität. Interview: Malte Rauch
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