■ Länderfusion als schlanker Föderalismus: Der Speck muß weg
Im Grundgesetz war die Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg als Ausnahme vorgesehen. Doch was wäre, wenn die Ausnahme wenn schon nicht zur Regel, so doch zum Vorbild genommen würde für einige Landstriche, die mit ähnlichen strukturellen Mängeln zu kämpfen haben wie die Hauptstadt-Region? Nicht von ungefähr entzündet sich nun erneut die Debatte um die Formation der Nordländer.
Seit dem Fall der Mauer konnte man die Deformationen eines strukturell ungeplanten Entwicklungsprozesses rund um Berlin beobachten. Riesige Shopping-Malls haften an den Ausfallstraßen wie Misteln an einem Ast, wie diese parasitär im Ressourcenverbrauch. Speckgürtel nennt sich euphemistisch das voll entwickelte Krankheitsbild einer Wirtschaft, die sich nahe genug an der Metropole entwickelt, um deren Infrastruktur und Freizeitangebot nutzen zu können, aber weit genug von ihr entfernt ist, um die besonderen Töpfe regionaler und lokaler Förderung ausschöpfen zu können, die das Umland und nochmals jede Gemeinde gesondert bereithält.
Auf vier Milliarden Mark taxiert der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe die Einsparungen durch die Zusammenlegung der Verwaltungen beider Länder und die Festschreibung einer entsprechenden Personalobergrenze. Eingeweihte gehen mittlerweile davon aus, daß der Berliner öffentliche Dienst nie sein sprichwörtliches Übermaß verlöre, würde er nicht durch die Fusion dazu gezwungen. Ähnliches ließe sich sicher auch im Hamburger oder Bremer Rathaus konstatieren.
Nichts spricht dagegen, daß das berlin-brandenburgische Beispiel Schule macht – nur die jeweiligen Landespolitiker. Deren Beharrungsvermögen steigert sich ins Maßlose, wenn nicht nur die angestammten Pfründe bedroht sind, sondern mit einer Fusion auch noch veränderte politische Konstellationen erwartet werden.
An diesem Beharrungsvermögen scheiterte die einzige Chance der letzten Jahre, eine Neuordnung der föderalen Strukturen ernsthaft zu diskutieren. Statt auf dem Gebiet der damaligen DDR leistungsfähige politische Einheiten zu entwicklen, rekurrierte man auf überkommene landsmannschaftliche Bindungen: der gleiche identitätsstiftende Kleister, den auch westdeutsche Politiker ihren Bürgern gerne ums Maul schmieren, wenn sie den regionalen oder lokalen Bestand gewahrt wissen wollen. Seitdem wird das Gebiet der ehemaligen DDR „fünf neue Länder“ genannt, als wäre an diesen Gebilden nicht sehr viel Altes und Unzeitgemäßes. Dieter Rulff
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