Hamburger Szene : Lächeln für zehn Cent
Warten auf die S-Bahn geht so, dass man da steht und die Leute um sich herum anschaut, und wenn sie das Gleiche tun und die Blicke sich treffen, dann hat man den Salat. Besonders wenn der andere Blick zu funkelnden braunen Augen aus einem Jungengesicht gehört. Er hat die ganze Hand voller Kleingeld und auch noch welches in der Tasche, das hört man. Über seiner Schulter hängt ein Akkordeon.
Seine Arbeit ist, durch die Waggons zu laufen, eine Melodie zu spielen und die Leute penetrant anzugucken, damit das Klimpergeld im Coffee-to-go-Becher vorn an seiner Quetsche sich vermehrt. Seine Brüder spielen alle dieselbe Melodie, aber sie haben nicht so tolle Sommersprossen wie er. Wenn er einmal durchgelaufen ist, hält die S-Bahn und er geht in den nächsten Wagen.
Während er neben mir steht, schüttelt er so lange die Ein-, Zwei- und Fünf-Centstücke in der Hand, als wolle er würfeln. Ein paar Münzen fallen auf den Bahnsteig. „Du hast was verloren“, sage ich, auch wenn es so aussieht, als wüsste er das selbst und würde sich nur nicht darum scheren. Tut er auch nicht. Er macht eine Bewegung mit dem restlichen Geld Richtung Mülleimer, hebt die Kupfermünzen aber dann trotzdem auf. Das „richtige Geld“ ab zehn Cent befindet sich in seiner Hosentasche. Er lacht und tut so, als würde er mich nicht verstehen, zeigt mir seinen rumänischen Pass und grinst noch mehr.
Wir unterhalten uns ein bisschen, er auf rumänisch und ich auf deutsch. Meine Bahn kommt. Zum Abschied grinst er noch ein bisschen mehr und seine Sommersprossen hüpfen. Er fragt mich mit Zeichensprache, ob er mich küssen darf, ich muss lachen, aber steige lieber schnell ein. Er ist sowieso höchstens 16.
Anna Nieweler