LIBYEN HAT KEINE FEINDE MEHR, SONDERN NUR NOCH INTERESSEN : Der neue Gaddafi bleibt ganz der alte
Der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi ist immer für eine Überraschung gut. Auf die Vereinbarung mit Großbritannien und USA über eine Abschaffung des libyschen Massenvernichtungswaffenprogramms folgt eine Sensation nach der anderen: Libyen lädt USA und Briten zur Truppenstationierung ein. Libysche Politiker arbeiten am Friedensvertrag mit Israel. Fehlt nur noch das Shakehands mit Tony Blair vor imperialen römischen Ruinen und eine libysche Beteiligung an der US-geführten Koalition der Willigen im Irak.
Die neuen Mittel entsprechen Gaddafis altem Ziel: Er will in der Welt respektiert und gefürchtet sein. Früher wurde man dafür am besten Revolutionär, Terrorist und Schurkenstaat. Heute stellt man sich an die Seite der einzigen Supermacht, vor der große Teile der Welt inzwischen mehr Angst haben als vor richtigen Terroristen. Libyen hat keine Feinde mehr, nur noch Interessen.
Dafür muss der libysche Führer sein Image verändern, nicht jedoch den Inhalt seiner Politik. Sein favorisierter Auftritt ist der des dynamischen Jungstürmers, der alles hinwegfegt. Aber der Diktator ist schon 61. So erfindet er sich jetzt neu als dynamischer Elder Statesman, der im Handumdrehen sämtliche Spannungen im Mittelmeerraum abstellt. Konzessionen wie das Ende des Atomwaffenprogramms oder die Perspektive einer Aussöhnung mit Israel rühren dabei gar nicht an das Selbstverständnis Libyens – sie rühren bloß an das Verständnis, das der Rest der Welt von Libyen hat. Unberührt bleiben die wirklich wichtigen Dinge: die absolute politische Macht des Revolutionsführers, die auf Erdölexport ausgerichtete Staatswirtschaft und der Großmachtanspruch in Afrika.
Wenn das aufgeht, winkt der Gaddafi-Hattrick: Die Diktatur bleibt intakt, ausländische Investoren modernisieren die Ölindustrie, und mit den USA im Rücken entscheidet Libyen das Rennen gegen Südafrika über Sitz und Arbeitsweise der in diesem Jahr zu gründenden panafrikanischen Institutionen für sich. Was sind dagegen schon ein paar Brennstäbe und eine antizionistische Mottenkiste?DOMINIC JOHNSON