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Archiv-Artikel

LEXIKON DES MODERNEN UND UNMODERNEN FUSSBALLS Flutlichtmasten, die

liebt Fußball und schreibt darüber

CHRISTOPH BIERMANN

Es war Christoph, neben dem ich die Heimspiele des VfL Bochum in einer gewissen Waldorf-und-Statlerhaftigkeit verfolge, der mich als Erster auf das rätselhafte Verschwinden des Lichts aufmerksam machte. Man könne es nicht mehr sehen, erzählte er mir verblüfft und rätselte, wie das sonst weithin zu erkennende Lichtkissen über dem Ruhrstadion plötzlich verschwinden konnte. Früher hatte es an Spieltagen über der Stadt geschwebt, sein Leuchten war ein Versprechen auf die Freuden des Spiels gewesen, nun war es nicht mehr da.

Flutlichtmasten sind für Fußballstadien das, was die Kirchtürme für die Gotteshäuser sind. Sie sind Orientierungspunkte in der Landschaft und Fixpunkte der Sehnsucht. Doch anders als das Läuten der Glocken ist das Licht von den Masten der Stadien eine lautlose Aufforderung. Es steht im umgekehrten Verhältnis zum Ereignis, denn beim Gottesdienst auf den Rängen gibt es keine stille Einkehr.

Das Flutlicht verschafft Fußballspielen eine besondere Magie, und wohl auch deshalb schuf der Künstler Dirk Pleyer 2005 ein „Erleuchtungslicht“, als der VfL Bochum wieder einmal im Abstiegskampf stand. Der ziegelgroße Holzkasten hatte eine Vorderseite aus Glas, auf der das Bild eines der Flutlichtmasten des Ruhrstadions von innen durch eine Glühbirne beleuchtet wurde. Eine Devotionalie mit sogenannter Nichtabstiegsausstrahlung sollte das sein, sie konnte den Abstieg in die Zweite Liga allerdings nicht verhindern.

Doch wie lange werden wir beim Flutlicht überhaupt noch an Beschwörungen denken, wo dessen Geschichte die eines Verschwindens geworden ist? Zwar werden die Spielfelder immer heller ausgeleuchtet, um noch mehr Licht für Fernsehbilder von immer besserer Qualität zu liefern. Darüber aber ist die Lichttechnik profan geworden, weil die Scheinwerfer direkt unter den Dächern der Arenen angebracht werden. Bei fast allen Stadionneubauten der letzten Jahre wurde auf Masten verzichtet, ob in den hochgezüchteten Arenen von Gelsenkirchen bis München oder ihren bescheideneren Verwandten von Aachen bis Paderborn. Die Stadien haben ihre Kirchtürme verloren – das Licht schweigt.

Die Erklärung dafür ist verblüffend, denn sie hat nichts mit dem Fortschritt bei der Lichttechnologie zu tun, sondern mit der Statik von Dachkonstruktionen. Früher waren sie nicht stabil genug, um die Last von Scheinwerferbatterien zu tragen, heute brauchen die Glocken keine Türme mehr.

So wünschte man sich, dass Bernd und Hilla Becher ihre strengen fotografischen Dokumentationen des Industriezeitalters mit den Bilderserien von Wassertürmen, Gasbehältern und Zechenanlagen auf Flutlichtmasten erweitert hätten. Eine erstaunliche Vielfalt gab es einst, als sie sich wie neugierige Beobachter zum Spielfeld im Müngersdorfer Stadion in Köln herunterbeugten, als starre Stahlkonstrukte über dem Waldstadion in Frankfurt ausharrten oder in ihren Betonhalterungen das Rheinstadion in Düsseldorf ausleuchteten. Sie trugen dazu bei, dass man schon aus der Distanz erkannte, welches Stadion man ansteuerte, wo die Arenen heute selbst dann noch kaum zu unterscheiden sind, wenn man sie betreten hat.

Bald werden die Flutlichtmasten fast überall verschwunden oder wie in Duisburg nur noch Denkmäler ihrer selbst sein. Dort blieben nach dem Abriss des alten Wedaustadions und dem Neubau der MSV-Arena noch zwei von vier Masten übrig, ohne jedoch jemals wieder verlockend von einem Spiel zu künden. In Bochum ist dieser Zauber noch nicht ganz verflogen, er strahlt nur deshalb nicht mehr so weit, weil die alten Scheinwerfer durch neue ersetzt wurden, die heller strahlen und zugleich weniger Energie verbrauchen, weil deren Licht nicht mehr so streut. Es ist also auch das Ende einer Verschwendung, aber bekanntlich ist es nicht immer schön, wenn pure Vernunft siegt.