LETZTER EINKAUF : Wie Armageddon
Die Straßen waren verwaist. Saatkrähen froren in einer entlaubten Baumkrone vor sich hin. Was machen die Menschen bloß an solchen Tagen? Ich stand vor dem Bäcker, wegen Urlaub geschlossen, und erinnerte mich dunkel an den Sonntagsverkauf im nahegelegenen Center.
Ich hatte mit leeren Regalreihen gerechnet, Aushilfskassiererinnen mit Zahnspangen, die die Verpackungen drehen und wenden auf der Suche nach dem Scancode. Doch alles kam anders.
Schon in der Warmluftschleuse drängelte sich halb Nordneukölln. Die Boutiquen links liegen lassend, zog es die Menschen in den Supermarkt im Tiefgeschoss. Am Fuße der Rolltreppe spielte eine Jazzcombo Dosenmusik. Zwei Halbwüchsige prügelten sich um Pfandbons und hinter dem Drehkreuz begann die wahre Schlacht. Während die Angestellten die Waren palettenweise in den Markt schoben, wurden die Milch- und Butterberge von den Kunden fast ebenso schnell wiederabgetragen. Manche schaufelten Dutzende Becher Schokopudding in ihre Einkaufswägen, Dreiliterkartons Rotwein, Pomelos groß wie Fußbälle und ein Bündel Weihnachtsgänse obendrauf.
Ein penetranter Einkaufswagen in meinem Rücken schubste mich zum Gemüse. Der Wirsing grinste mich unverschämt an, der letzte Butternusskürbis an sich schon eine obszöne Geste. Und die Maronen wieherten wie wild gewordene Shetlandponys. Dazwischen Menschen, die ihre Wagen vollpackten, als stünde Armageddon vor der Tür oder die nächste Klimakonferenz. Doch sie hatten Recht! Dies war tatsächlich die letzte Chance, an einem vierten Advent einzukaufen! Kraftlos ließ ich mich zu den Elektrowaren treiben, schnappte nach einer Energiesparlampe der letzten Generation. Die mit der warmen Lichtfarbe. Ein bisschen Besinnlichkeit, dachte ich, schadet nicht.
TIMO BERGER