LESERINNENBRIEFE :
Beides geht nicht
■ betr.: „Man muss nicht gleich das Messer schwingen“, taz vom 5. 6. 15
Das Zauberwort der Stunde ist Big Data, auch und gerade in der medizinischen Forschung. Gerade ist in Deutschland die Nationale Kohorte angelaufen. Gesundheitsdaten und Bioproben von 200.000 Bundesbürger*innen sollen erhoben, über mindestens 20 bis 30 Jahre gespeichert und als Vorrat für ein breites, noch nicht festgelegtes Spektrum gesundheitsbezogener Forschung genutzt werden können. Während der Laufzeit sollen die Teilnehmer*innen wiederholt erneut untersucht werden, bei Trägern der Kranken- und Sozialversicherung sowie bei Haus- und Fachärzten sollen laufend zusätzliche Daten erhoben werden. Dies alles soll durch die Einwilligung der Teilnehmer*innen legitimiert werden, die nicht verlangen dürfen, über die einzelnen Forschungsprojekte informiert zu werden, geschweige denn, dass sie jeweils um ihre Einwilligung für die Nutzung ihrer Daten gebeten werden. Allerdings wird zugesagt, die Daten vor ihrer Nutzung wirksam zu anonymisieren. Nils Hoppe hält dagegen, es sei bei der Fülle der heute für die Forschung erhobenen Gesundheitsdaten illusorisch, sie anonymisieren zu wollen. Und er meint, wir sollten uns damit abfinden, dass es für unsere Gesundheitsdaten keinen umfassenden Datenschutz gibt. Gesundheitsforschung sei ein extrem hohes gesellschaftliches Ziel. Da müsse der individuelle Datenschutz mitunter hintanstehen.
Nils Hoppe bevorzugt Klartext, während die Betreiber der Nationalen Kohorte vorziehen zu verschleiern. Die Alternativen heißen: die Nationale Kohorte und vergleichbare Projekte von Gesundheitsforschung mit Big Data oder der Schutz der individuellen Gesundheitsdaten. Beides geht nicht. Nils Hoppe entscheidet sich für die Forschung mit Big Data. Man kann jedoch auch anders entscheiden: Bei der Forschung mit Big Data werden anhand von Messdaten, Bioproben, genetischen Testbefunden und Lebensumständen statistisch berechnete Korrelationen, Wahrscheinlichkeiten und Risikoprofile konstruiert, die für die Aussichten Einzelner nur beschränkte Aussagekraft haben. Ist diese Art von Forschung so eindeutig höher zu bewerten als der Schutz der Gesundheitsdaten?WOLFGANG LINDER, Bremen
Eine Art Volksverdummung
■ betr.: „Mietpreisbindung. Nase zu und durch“, taz vom 1. 6. 15
Die sogenannte Mietpreisbremse lässt sich wohl eher als eine Art Volksverdummung verstehen. Nicht zuletzt durch die Aufhebung der Mietpreisbindung von 1990 durch das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz ist Wohnraum zu einer (spekulativen) Wert- und Renditeanlage geworden. Durch Privatisierung ganzer Wohnungsbestände haben die Kommunen ein wichtiges Steuerungsinstrument aus der Hand gegeben und den Wohnungsmarkt weitgehend EigentümerInnen überlassen, die vornehmlich an Renditeerwartungen interessiert sind. Gerade zu Zeiten der Niedrigzinsphase stellen Immobilien eine sichere und gewinnbringende Kapitalanlage dar. Gerade bei Neubauwohnungen, die explizit von der Mietpreisbremse ausgenommen sind, ist mit einer Explosion der Quadratmeterpreise zu rechnen, ganz zu schweigen von den bei VermieterInnen beliebten „Luxussanierungen“. Solange nicht wieder in sozialen Wohnungsbau investiert und damit das Angebot bezahlbaren Wohnraums vergrößert wird, wird sich für die BürgerInnen weiterhin nichts am Wohnungsmarkt ändern. HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel
Die Wirklichkeit wird sie einholen
■ betr.: „G 7 für Öl- und Kohle-Ausstieg“, taz vom 9. 6. 15
Die Bundeskanzlerin verkündet nach der G-7-Veranstaltung die „Dekarbonisierung der Weltwirtschaft“. Ohne den Begriff „Dekarbonisierung“ zu hinterfragen, jubeln Germanwatch und leider auch Greenpeace. In der G-7-Erklärung werden die Begriffe „kohlenstoffarme Technologien und Strategien“ und „saubere Energien“ verwendet. Führende deutsche Wissenschaftler befürworten die „kohlenstoffarmen“ beziehungsweise „sauberen“ Technologien CCS (Carbon Capture and Storage – CO2-Abtrennung und Endlagerung) und die „saubere“ Atomkraft. Allem Anschein nach wollen die G-7-Staaten also auch für CCS und Atomkraft Mittel zur Verfügung stellen, vor allem auch in den Entwicklungsländern!
Die Mächtigen haben eine Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis zum Ende des Jahrhunderts beschlossen. Die Wirklichkeit wird sie einholen: Zeugen doch die sehr riskanten und teuren Vorhaben Fracking, Tiefsee- und Arktisbohrungen vom Ende der bezahlbaren fossilen Rohstoffe. REGINA RENSINK, Stadum
Stammtisch der Spitzenvertreter
■ betr.: „Weniger Kohle und mehr Essen“, taz vom 9. 6. 15
Wenn anlässlich dieses G-7-Treffens keine konkreten Beschlüsse zur baldmöglichsten Beendigung der Flüchtlingskatastrophe und zur wirkungsvollen Bekämpfung der Fluchtursachen beschlossen wurden, dann war diese Veranstaltung nur ein Stammtisch der Spitzenvertreter der Wirtschaft, insbesondere der Rüstungsindustrie. Nur wenn keine Waffen mehr in alle Welt mit hohen Profiten geliefert werden und auch die korrupten, undemokratischen Regierungen nicht mehr mit fadenscheinigen Begründungen unterstützt werden, dann kann eine gerechtere und friedlichere Welt geschaffen werden. Dann können alle Menschen in ihren Ländern ohne Not und Elend und auch ohne Gefahren für Leib und Leben existieren und müssen nicht mehr in Länder fliehen, welche selbst auch die weltweite Misere aus Profitgier verursachen. WERNER ORTMANN, Korschenbroich