LESERINNENBRIEFE :
Jesus stand aufseiten der Opfer
■ betr.: „Die Stadt Wittenberg steht zu Pussy Riot“, taz v. 26. 10. 12
Als evangelischer Christ und Pfarrer der evangelischen Kirche kann ich nur sagen: Gott sei Dank hat sich der Wittenberger Stadtrat von seiner Entscheidung, die Punkgruppe Pussy Riot für den Lutherpreis „Das unerschrockene Wort“ zu nominieren, weder von braven Bürgern noch von kirchlichen Autoritäten abbringen lassen. Während der Widerstand seitens der „Allianz der Bürger“ einfach nur spießbürgerlich dumm war (für H. F. List sind die drei Punkerinnen, von denen nun zwei in Straflagern die Konsequenz ihres Handelns tragen, schlicht „dumme Weiber“), argumentierten die kirchlichen Kritiker auch pragmatisch: Durch Pussy Riots öffentlich wirksamen Auftritt sei der russischen Opposition nicht gedient. Doch der Schwerpunkt ihrer Argumentation gebärdete sich als christliche Nächstenliebe mit Blick auf russisch-orthodoxe ChristInnen: Die Punkerinnen hätten durch ihren Auftritt in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale Menschen in ihren religiösen Gefühlen tief verletzt. Nun: Im Namen der Religion bzw. religiöser Gefühle wurden und werden weltweit Frauen und homosexuelle Menschen bevormundet, unterdrückt oder verfolgt, um nur die augenscheinlichsten Beispiele religiösen Irrsinns zu benennen. Pussy Riot hat diesen Irrsinn beim Namen genannt, und zwar auch an die Adresse der russisch-orthodoxen Kirche, weil diese offensichtlich in den Chor der Bevormunder und Unterdrücker mit einstimmt. Es gibt eine evangelische Tradition der Religions- und Gesellschaftskritik, die mit den jüdischen Propheten beginnt und bis in die Gegenwart reicht. Evangelische ChristInnen, voran deren Kirchenleitungen, sollten sie sich vergegenwärtigen! Jesus wurde auch deshalb gekreuzigt, weil er religiöse Gefühle verletzte und als Gotteslästerer galt. Und in seinem Handeln war er weder pragmatisch noch diplomatisch. Mit Wort und Tat stand er einfach nur auf der Seite der Opfer gesellschaftlicher wie religiöser Gewalt. CHRISTIAN REICH, Berlin
Beten für die Pussys?
■ betr.: „Im Intimbereich des Glaubens“, taz vom 24. 10. 12
Hat denn der Herr Schorlemmer wenigstens zu einem Gebet für „diese Pussys“ aufgerufen? Das wäre doch seine ureigenste Aufgabe, wenn er schon nicht Provokation und Gefängnis dafür auseinanderhalten kann. RUTH ALEX, Stuttgart
Warum heißt es Protestantismus?
■ betr.: „Im Intimbereich des Glaubens“, taz vom 24. 10. 12
Zunächst besteht das Skandalöse dieser Demagogie gegen die Verleihung des Lutherpreises „Das unerschrockene Wort“ an die Frauen von Pussy Riot darin, dass Schorlemmer als Theologe des „Protestantismus“ gilt. Aber warum wohl heißt diese Glaubensrichtung so? Weil Luther mit seinen Wittenberger Thesen gegen den Papst aufgestanden ist, ein für damalige Verhältnisse hochpolitischer Akt des Widerstands gegen ein existierendes System der Gewissens- und Seelendiktatur, nicht wahr? Wie viele Millionen katholischer Menschen mag dieser Luther damit nachhaltigst in ihren religiösen Gefühlen verletzt haben, und das auch noch in voller Absicht?!
Die eigentliche Bigotterie der Argumentation dieses „religiösen Lautsprechers“ ist, dass er sich mehr über den „unanständigen“ Bandnamen und das ungezogene Auftreten der Pussy-Riot-Frauen echauffiert, als über die Gründe zu diskutieren, die diese „wilden Weiber“ einen derart verzweifelten Mut gegen ein faschistisches System aus Politik und Religion setzen lassen. Dabei sollte seine eigene Biografie Besseres nahelegen! Oder waren es Schorlemmers Gebete, die die DDR und ihre Grenzschutzanlagen zu Fall gebracht haben? Ich erinnere mich an sehr irdische Vorgänge, die göttliche Fügungen wohl kaum gebraucht haben, sondern schon seit Anbeginn des Kalten Krieges und des Mauerbaus eine zunehmende Zwangsläufigkeit entwickelt hatten: Die DDR konnte angesichts der kapitalistisch dominierten, von aggressiven Global Players okkupierten Weltwirtschaft nur früher oder später in Konkurs gehen, besonders da auch die politischen Kräfte des sogenannten freien Westens alles daran setzten, die Gegenseite zu zermürben. Es war eine Frage der Entwicklung und sicher kein „Trick vom Himmel“, dass dieses faschistoide System scheiterte. PETER KOLDITZ, Marburg-Elnhausen
Offenbar nur Latein gelernt
■ betr.: „Im Intimbereich des Glaubens“, taz vom 24. 10. 12
Herr Schorlemmer hat als Pastor offenbar nur Latein, aber kein Englisch gelernt. Aber ihm kann leicht geholfen werden: Pussy wird im Internetwörterbuch LEO mit Muschi übersetzt. Der Pons von 1996 übersetzt: Pussy – Muschi; cunt – Möse oder Fotze. Also, lieber Herr Pastor, erst nachschlagen – dann aufregen! SILKE KARCHER, Berlin
Macht wird missbraucht
■ betr.: „Aus für den Streppenzieher“, taz vom 26. 10. 12
Dass Korruption und Repression als probate Handlungsinstrumente gerade in der politischen Nachwuchsgeneration ethisch unreflektiert als „Standard“ betrachtet und genutzt werden, erschreckt heute nur noch Gesellschaftsforscher und Politikbeobachter. Der normale Mensch muss davon ausgehen, dass Macht standardmäßig missbraucht wird. Ärgerlich am Rücktritt von Herrn Strepp ist, dass der nicht ins Leere fällt, sondern vermutlich zulasten der Allgemeinheit hochdotiert (Dr. Strepp!) passend verschoben – und weiter agieren wird. WOLFGANG SIEDLER, Langenhagen