LESERINNENBRIEFE :
Das Miteinander neu stiften
■ betr.: „Neonazi-Terror – ein Jahr später“, taz vom 2. 11. 12
Vielen Dank für die ersten sieben Seiten der heutigen taz. Die finde ich auch deshalb gut gelungen, weil sie so ein schönes Kontrastprogramm zu dem gestern gezeigten Fernsehfilm über den „guten Nazi“ Rommel abgeben. Gelungen finde ich überhaupt das Bestreben, einen Überblick in dieser Form zum Thema „Staatsversagen“ anzubieten. Man kann ja immer alles Besser + Schöner machen, dieses Thema muss uns als „Deutsche“ aber besonders berühren, nicht nur, weil die Vergangenheitsbewältigung sonst keinen nach vorn gerichteten Anknüpfungspunkt hätte, sondern auch, weil es das „Miteinander“ immer wieder neu stiften hilft! PETER MEYER, Hamburg
Die Staatsorgane versagen nicht
■ betr.: „Schon wieder – nie wieder“, taz vom 2. 11. 12
Das ständige Gerede vom „Versagen“ der Staatsorgane ist eine grobe Verharmlosung. Weder die Mitglieder des Untersuchungsausschusses noch Journalisten trauen sich, die banale Wahrheit auszusprechen, dass der Extremismus für den Verfassungsschutz so existenznotwendig ist wie für die Feuerwehr ein gelegentliches Feuer. Der Unterschied ist nur, dass es mit Sicherheit immer mal wieder irgendwo brennt, weshalb nur durchgeknallte Feuerwehrleute Brände legen. Der Verfassungsschutz dagegen mit seinen V-Leuten beobachtet die rechte Szene nicht nur, sondern er füttert sie auch. Präventive Interventionen wären dysfunktional, weil sie das Problem verringern würden, das die eigene Existenz rechtfertigt.
MATTHIAS KNUTH, Hattingen
Zu denken: OHGOTTERSTIRBT
■ betr.: „Die Nächte mit Kathi“, sonntaz vom 27./28. 10. 12
Dieser Artikel beschäftigt mich so, dass ich den ersten Leserbrief meines Lebens schreibe. Warum wirft sich die Mutter jede Nacht auf ihre Tochter und kämpft mit ihr, um sie zu fixieren? Damit Kathi sich nicht verletzt? Und es gehe um Sekunden? Was würde denn passieren, wenn sie das nicht täte, sondern die harten Plexiglaswände des Kinderbetts mit weichem Schaumstoff polstern würde? Und einfach abwarten würde? Man darf einen Menschen, der in einem großen Anfall um sich schlägt und zuckt, nicht festhalten – da ist sich die gesamte Fachwelt einig.
Ich habe viele Grand-Mal-Anfälle meines Sohnes miterlebt, darum weiß ich, wie sich das anfühlt, dazusitzen und zu sehen, wie das eigene Kind blau anläuft und röchelt und nach Luft schnappt und zu denken OHGOTTERSTIRBT – und nichts tun zu können, außer da zu sein, harte Gegenstände wegzuräumen – und ihn zu trösten, wenn er wieder zu sich kommt. Ich könnte meinen Sohn nicht festhalten, ohne ihn zu verletzen, darum bin ich auch nie auf die Idee gekommen. Außerdem weiß ich, dass ein Anfall in der Regel von selbst aufhört, die Gefahr ist vorbei, wenn mein Kind wieder röchelnd nach Luft schnappt – auch wenn er noch von Zuckungen geschüttelt wird.
Eltern brauchen Hilfe und Erste-Hilfe-Kurse, damit sie lernen, mit ihrer Angst und Panik fertig zu werden. Diese Schulungen gibt es seit vielen Jahren: Sie heißen Famoses (Infos bei der Deutschen Epilepsievereinigung). Es schadet uns und unseren Kindern, wenn schlechte Beispiele veröffentlicht werden. BRIGITTE LENGERT, Berlin
Die „weißen Zigeuner“
■ betr.: „70 Jahre danach“, taz vom 24. 10. 12
Die Berichterstattung der taz über Einweihung und Bedeutung des Sinti- und Rom-Denkmals ist vorbildlich. Ich möchte nur etwas ergänzen: Von den Nazis wurde auch die kleine und den meisten unbekannte Ethnie der Jenische verfolgt, mit Repressalien überzogen und zum Teil auch in Konzentrationslager transportiert, wo viele elendiglich umkamen. Jenische gab es und gibt es in Deutschland (West- und Südwestdeutschland), in der Schweiz, in Österreich und in Belgien. Ihre Herkunft ist nicht restlos geklärt. Sie haben eine eigene Sprache, eine eigene Musik, eigene Gebräuche, also eine eigene Kultur. Umgangssprachlich wurden sie früher als „weiße Zigeuner“ bezeichnet, weil sie ebenfalls als Landfahrende mühselig ihren Lebensunterhalt verdienten – als Kesselflicker und Korbflechter zum Beispiel.
Die „Rassehygieniker“ der Nazis, Mörder im weißen Kittel, nannten sie „Zigeunermischlinge“, weil die Jenische in keine von deren bekloppten Rasseschubladen so richtig reinpassten, aber eben lebten wie Sinti und Roma. Es lag also an den lokalen Rasseneinteilern der Nazis, was mit den Jenische geschah. Die einen behandelten sie wie Sinti und Roma und schickten sie in die KZs, andere trieben ihnen die angestammte Lebensweise aus, gaben sie der lokalen Verfolgung preis. Wir haben den Jenische gegenüber ebenfalls die Pflicht, sie nicht zu vergessen und uns der Verbrechen zu erinnern, die an ihnen begangen wurden. KLAUS VATER, Berlin
Ein toller Kanzlerkandidat
■ betr.: „Der Durchsichtige“, taz vom 31. 10. 12
Ein toller Kanzlerkandidat, dieser Steinbrück, unter den Top Ten der Nebenverdienstler in bester Gesellschaft! Mein Gott, was muss er ein Genie sein, dass er für so einen Vortrag so viel Geld bekommt! Dabei erzählt er dort – wie sein Genosse Gabriel leichtfertig daherplappert – ja auch nichts anderes als im Bundestag. Behauptete nicht ein gewisser Marx mal, das materielle Sein eines Menschen bestimme sein Bewusstsein? Die Arbeiterklasse lässt grüßen, Herr Steinbrück! ALBRECHT THÖNE, Schwalmstadt