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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Energiewende in Gefahr gebracht

■ betr.: „Ein gigantisches Geisternetz“ u. a., taz vom 1. 11. 12

Der geplante Netzausbau soll zu einem „gigantischen Geisternetz“ führen, übertitelt die taz, und neue Leitungen würden für Braunkohlestrom geplant, meint Wirtschaftswissenschaftler Jarass. Das wird bei Netzausbaubetroffenen die Illusion erwecken, auf den Netzausbau vor ihrem Haus könne verzichtet werden. Eine sehr gefährliche Argumentation, die die Energiewende in Gefahr bringt: Jarass benennt nicht, auf welchen Grad und welche Geschwindigkeit der Umstellung auf Erneuerbare-Energie-(EE)-Strom er sich bezieht. Es mag sein, dass die Energiewendepläne der Bundesregierung in den nächsten 18 Jahren auch mit geringerem Netzausbau realisierbar wären. Das kann aber nicht der Maßstab sein. Umweltverbände und Grüne fordern völlig zu Recht den Umstieg auf (nahezu) 100 Prozent Strom aus EE bis 2030, was bei der jetzigen Geschwindigkeit des EE-Ausbaus in Deutschland auch zumindest rechnerisch als realistisch erscheint.

Wenn wir aber 80 Prozent oder mehr Strom aus Wind und Sonne haben, kommen wir auf das Problem der zwei windstilltrüben Winterwochen, in denen kaum Strom aus Windkraft und Sonne produziert wird, lokale und regionale Speicher innerhalb kürzester Zeit leer sind und deshalb ein Großteil des Stromes ganzer Regionen aus Reservekraftwerken, Speichern und/oder Regionen mit anderen Wetter- bzw. Klimabedingungen stammen muss. Nach Berechnungen, die der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat erstellen lassen, ist die kostengünstigste Methode, die Stromversorgung auch dann abzusichern, die großräumige Vernetzung der Stromerzeugung verschiedener Regionen verbunden mit der Einbeziehung der (Pump-) Speicherwasserkapazitäten in Skandinavien und den Alpen.

Daher geht es perspektivisch nicht darum, wie Jarass meint, die Übertragungskapazität darauf auszurichten, „einmalige Windspitzen in Norddeutschland nach Süddeutschland übertragen zu wollen“, sondern die Versorgung ganzer Regionen sicherzustellen. Dafür wird der derzeit geplante Netzausbau bei Weitem nicht ausreichen sondern noch ergänzt werden müssen um Hochspannungsgleichstromübertragungsstrecken (HGÜ) für den verlustarmen Ferntransport von Strom. Was zutrifft an Jarass’ Kritik, ist, dass die Begründung der einzelnen Leitungen aufgrund der Komplexität des Stromsystems selbst für Verbände kaum nachprüfbar ist, was die Gefahr erhöht, dass die einzelnen Netzbetreiber die Berechnungen in ihrem Sinne manipulieren. Schon um dies zu vermeiden, wäre es besser, die vier Netzgesellschaften in eine Bundesnetzgesellschaft zu überführen, die allein von der öffentlichen Hand kontrolliert wird. HORST SCHIERMEYER, Zittau

Wo Bildung zur Ware verkommt

■ betr.: „Karl Marx hatte doch recht“, taz vom 25. 10. 12

Herr Füller sollte sich entscheiden, ob er Bildung von der Grundschule bis zur Universität als Bürger- und Menschenrecht oder als kommerzielle Ware sieht. In England, wo ich an der Universität als Dozent arbeite, ist die Universität zu einer kommerziellen Einrichtung und die Bildung zur Ware verkommen. Der Staat hat seine Finanzierung der Universitäten stark reduziert und die Studenten bezahlen eine Studiengebühr von 9000 Pfund pro Jahr. Als Konsequenz werden Abteilungen und Kurse geschlossen, wenn sie nicht genug Einnahmen durch zahlende Studenten erbringen. Lehrende sind gehalten, „effizienter“ zu arbeiten, was bedeutet, Unterrichtseinheiten zu größeren Gruppen zusammenzulegen. Studenten wählen Kurse nach dem potenziellen zukünftigen Einkommen aus, sodass sie ihre Schulden zurückzahlen können. Ist dies die gesellschaftliche Zukunft, die wir uns wünschen?

Falls wir uns um die Privilegien der gut verdienenden und reichen Akademiker sorgen und gleichzeitig gute Bildungschancen für Arbeiterkinder wollen, sollten wir uns für Steuergerechtigkeit einsetzen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer 95-prozentigen Erbschaftssteuer auf Vermögen, um Bildung für alle zu finanzieren? Ich kann mich als Arbeiterkind noch gut an einen Familienwitz aus meiner Kindheit erinnern: „Wie kommt man ganz zu schnell zu einer Million (damals noch) Deutsche Mark? Am Besten fängt man mit einer Million an!“ Es ist nicht das Studium! REINHARD HUSS, Leeds, England

Falsche Politik ist verantwortlich

■ betr.: „Nichts als vage Versprechen“, taz vom 3. 11. 12

Hoffentlich wird die Veröffentlichung der Asylzahlen in den nächsten Tagen zur erneuten und vertieften Debatte über das Versagen unserer Bundesregierung führen. Wann wird unsere Regierung begreifen, dass Europa nicht nur ein Absatzmarkt für deutsche Produkte ist? Hier und dort leben Menschen! Die Veröffentlichung der Asylzahlen könnte als Anlass genommen werden, darüber nachzudenken, ob die Außen- und die Entwicklungspolitik gute Arbeit geleistet haben. Wenn immer mehr Menschen nach Deutschland kommen müssen, offenbar nicht. Nicht nur bei uns, sondern auch in den anderen europäischen Staaten muss die finanzschwache Schicht gestärkt werden. Es gibt überall genug Beschäftigungsfelder, zum Beispiel die Pflege von Straßen, öffentlichen Plätzen und Parks. Wir als „Bürger für den Lietzensee e. V.“ machen das in unserer Freizeit.

Weil die Steuergelder in „Rettung der Banken“ und nicht in die „Rettung der Parkbänke“ gesteckt werden. Dieses falsche Denkmuster, welches die finanzschwachen Schichten von Arbeit, von Teilnahme an Kultur, letztendlich von Menschenwürde und Achtung vor sich selbst ausschließt, führt nur zur weiteren Verteilung von unten nach oben. Unsere falsche Politik ist dafür verantwortlich, dass immer mehr Menschen in Deutschland Asyl beantragen müssen!

NORBERT VOSS, Berlin