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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

„Oben“ ist man immer mehr unter sich

■ betr.: „Privatschulen kein Schreck mehr“, taz vom 10. 11. 09

Hm. Dass die Deutschen „Furcht“ vor Privatschulen haben, lässt sich doch nicht daraus ableiten, dass nur ein Drittel diese Schule vorzieht! Letzteres könnte auch einfach besagen, dass die Deutschen in ihrer großen Mehrheit weder die praktischen noch die finanziellen Möglichkeiten haben. Oder dass sie eine Privatschule für ihr Kind für Unfug halten. Ich wünsche mir gerade von der taz die Beleuchtung dreier Aspekte: Es geht beim Gegensatz zwischen staatlichen und Privatschulen auch um die Kuchenstücke eines wachsenden Bildungsmarktes. Die wenigsten Eltern, die Klassen mit nur acht Schülern „schätzen“ (Fotozeile), können sich das real leisten. Die Entscheidung für Privatschulen vertieft in gewisser Weise die Spaltung der Gesellschaft. Ich wünschte mir eine Schule für alle, in die sich gerade die erwähnten „Akademikereltern“ einbringen, und zwar auf Elternabenden, Klassenfahrten, in Nachmittagsangeboten und mit ihrem Geld. Diese Eltern fehlen den staatlichen Schulen zunehmend! „Oben“ ist man immer mehr unter sich, und „unten“ auch. Wo ist sie geblieben, die auch von der taz aufgeworfene Frage: „In was für einer Gesellschaft wollen wir leben“? Die Entscheidung für Privatschulen ist nur in begrenztem Umfang am Wohl der Kinder orientiert. Privatschulen können auch Statussymbol sein – „Unser Auto, unser Haus, unsere Privatschule“. Aber sind Privatschulen als solche auch die besseren Schulen? MICHAEL KOOTZ

Wer sich nicht wehrt

■ betr.: „Für eine Handvoll Pointen“,taz vom 12. 11. 09

Für einen Cineasten wie Sven von Reden mag der neueste Film von Michael Moore kein Meisterwerk sein. Aber deshalb den Film derartig zu verreißen und Moore als „Narr am Hof des Kapitalismus“ zu bezeichnen, ist schäbig. Inhaltlich bietet der Film etliche interessante Informationen über das US-System und zeigt auch an Beispielen: „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.“ HARALD VIETH, Hamburg

Ohne Krawall

■ betr.: „3. Tagung des 17. Zentralkabinetts“, taz vom 10. 11. 09

Danke für eine Titelseite ganz ohne Krawall, ganz ohne buntes, „lustiges“ Foto, ganz ohne buntes Bildchen einer Person oben rechts, die „lustig“ über den roten Balken schaut, ganz ohne kugelrundes Bildchen gleich links unter dem roten Balken …

Weiter so: ganz ohne Krawall, geht doch – und seid ehrlich, es hat gar nicht so doll weh getan. MARTIN BLANCKE, Berlin

Froh über das Urteil über Alex W.

■ betr.: „Höchststrafe für Mord aus Fremdenhass“, taz vom 12. 11. 09

Es ist gut, dass Alex W. zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Ich bin sehr froh darüber. Nicht nur, weil sonst wieder mehrere Fragezeichen in der Luft stünden. Und ich möchte den ägyptischen Medien und ägyptischen Landsleuten recht geben, dass dieser Fall eine öffentliche Diskussion über des Verhältnis zu Muslimen in unserer Gesellschaft anstoßen sollte. Was ich nicht so gut finde, ist, dass ägyptische Prominente sich geradezu über das Urteil freuen. Es widerspricht wohl meinen christlichen Grundsätzen, diese tiefe Befriedigung über eine Verurteilung zu empfinden. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich nicht dankbar über das Urteil wäre! Aber ich empfinde es nicht als dasselbe wie richtige „Freude“. Froh bin ich auch darüber, dass die deutsche Justiz ein gutes Bild im muslimischen Ausland hinterlassen hat. Ich finde, wir sollten nicht verpassen, den versteckten Rassismus in unserer Gesellschaft zu thematisieren, damit er nicht auf diese grausame Art ausbricht. ELLEN KAKO, Kiel

Das Kinderarmutbeschleunigungsgesetz

■ betr.: Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, u. a. taz vom 10. 11. 09

Im Erfinden von leeren Worthülsen waren Politiker ja schon immer ganz groß. Da in der Regel bei vielen Gesetzesvorlagen nichts Gescheites mehr herauskommt, geht man jetzt einen anderen Weg. Man baut den scheinbaren Erfolg schon in den Begriff ein, damit auch dem „Dümmsten“ im Vorfeld alle Zweifel genommen werden. An Beschleunigungsinitiativen hat es den jüngsten Regierungen wahrlich nicht gefehlt. Viele von ihnen funktionieren bis heute hervorragend. Da sind zum Beispiel das Kinderarmutbeschleunigungsgesetz, Privatinsolvenzenbeschleunigungsgesetz, Artensterbenbeschleunigungsgesetz, Datenmissbrauchbeschleunigungsgesetz, Mindestlohnverzichtbeschleunigungsgesetz, Rentenkürzungsbeschleunigungsgesetz. Und nicht zu vergessen das beliebte Kassenpatientenarschkartenbeschleunigungsgesetz. Dies sind alles Gesetze, die im Verborgenen seit Jahren blühen und gedeihen. Und Merkel und Westerwelle werden diese Felder in den kommenden Jahren noch düngen. Was uns fehlt, sind nachhaltige Entschleunigungsgesetze, die diese Entwicklung endlich anhalten und zurückschrauben. WERNER BRENIG, Koblenz