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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

„Nichts ist gut in Afghanistan“

■ betr.: „Soldaten fürchten um kirchlichen Rückhalt“, taz v. 5. 1. 10

Ich hätte mich gefreut, wenn die taz wenigstens einmal den angegriffenen Absatz aus der Neujahrspredigt von Frau Käßmann vollständig zitiert hätte:

„Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. Wir brauchen Menschen, die nicht erschrecken vor der Logik des Krieges, sondern ein klares Friedenszeugnis in der Welt abgeben, gegen Gewalt und Krieg aufbegehren und sagen: Die Hoffnung auf Gottes Zukunft gibt mir schon hier und jetzt den Mut, von Alternativen zu reden und mich dafür einzusetzen. Manche finden das naiv. Ein Bundeswehroffizier schrieb mir, etwas zynisch, ich meinte wohl, ich könnte mit weiblichem Charme Taliban vom Frieden überzeugen. Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen. Das kann manchmal mehr bewirken als alles abgeklärte Einstimmen in den vermeintlich so pragmatischen Ruf zu den Waffen.“ UTE FINCKH, Berlin

„Retro-Militarismus“?

■ betr.: „Soldaten fürchten um kirchlichen Rückhalt“, „Rückkehr des Radikalpazifismus?“, taz vom 5. 1. 10

Wenn Käßmanns Äußerungen „ahistorischer Radikalpazifismus“ sind, was ist dann Gesslers Kommentar? „Retro-Militarismus“?

„Soldaten fürchten um kirchlichen Rückhalt“ – bei dieser Überschrift dreht sich dem Historiker der Magen um: Ja, so war’s in Deutschland 1914 und 39: Da standen die Kirchen hinter „unseren Soldaten“, suggerierten ihnen, der Krieg sei „heilige Pflicht zum Kampf fürs Vaterland“, und rechtfertigten damit das Tun derer, die sie und dies Vaterland ins Verderben führten. Selbst nach 1945 wurde das Märchen vom „anständigen Militär“ gegenüber der „verbrecherischen SS“ lange aufrechterhalten.

Im Zeitalter einer freien Berichterstattung wird es hoffentlich eher mehr Menschen klar, dass unsere (und auch die amerikanischen, britischen usw.) Soldaten am Hindukusch nicht „unsere Freiheit“ verteidigen, sondern Illusionen: In Kabul wurde keine Demokratie etabliert, sondern ein Regime, dass sich nur hält, weil es westliche Gelder an seine Klientel verteilen kann (was wir dann Korruption nennen). Im Norden blieb es nur deswegen lange friedlich, weil Warlords (Dostum, Atta) dort mit brutaler Hand für Ordnung sorgten. Je länger westliche Soldaten bleiben, desto mehr Tote, zerstörte Gebäude und enttäuschte Hoffnungen werden sie hinterlassen. Margot Käßmann ist die erste hochrangige Persönlichkeit, die es gewagt hat anzudeuten, dass „der Kaiser nackt ist“. Gleich fällt das gesamte Establishment (auch die taz) über sie her. Dabei hilft unseren „Bürgern in Uniform“ nichts mehr als die schonungslose Wahrheit über dieses militärische Abenteuer. WOLFGANG WIEMERS, Münster

Grotesk, entlarvend, schäbig

■ betr.: „Rückkehr des Radikalpazifismus?“, taz vom 5. 1. 10

Die Welt ist aus den Fugen. Jedermann, der sich ernsthaft mit Afghanistan und den Auswirkungen von Kriegen auseinandersetzt, weiß, dass dieser Krieg nichts zu einer Konfliktlösung beigetragen hat, sondern nur zum Anwachsen von Hass und Gewalt. Er weiß es nicht erst seit gestern, sondern schon seit Jahren, in denen Beschuss und Bombardierungen das Leid der Menschen verschlimmern und Gespräche unmöglich machen. Als jetzt nach jahrelangen geschönten Sonntagsreden eine evangelische Bischöfin die Bilanz und die Rechtfertigung dieses Krieges offen anspricht, wird sie von Medien und Politikern an den Pranger gestellt, die ihr „mangelnden Rückhalt für deutsche Soldaten“ vorwerfen. Grotesker- und entlarvenderweise sind dies dieselben Politiker, die diesen perspektivlosen Krieg zu verantworten und deutsche Soldaten in diese aussichtslose Lage befohlen haben. Schäbig. KURT LENNARTZ, Aachen

Die Frau hat Recht!

■ betr.: „Soldaten fürchten um kirchlichen Rückhalt“, taz v. 5. 1. 10

Wäre Bischöfin Käßmann nicht allein schon der Sache wegen zuzustimmen, so hilft zur eigenen Meinungsbildung ein Blick auf jene, die sich von ihr distanzieren: Wenn Guttenberg, Niebel, Beckstein und Mißfelder Bedenken gegen die öffentliche Wortverkündigung der höchsten Repräsentantin der evangelischen Kirche äußern, drängt sich auch dem arglosesten Beobachter der Debatte der Schluss auf: Die Frau hat recht! CHRISTIAN KÖNIG, Bingen