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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Billiglöhne ohne Perspektive

■ betr.: „Große Koalition will Hartz IV ändern“, taz vom 11. 1. 10

Alle meinen, etwas zu dem verfehlten zweiten Sozialgesetzbuch sagen zu müssen.Wesentliche Fortschritte für die Hilfesuchenden hat es dadurch bislang nicht gegeben. Die sogenannten Erfolge in der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit beruhen hauptsächlich auf der wirtschaftlichen Entwicklung sowie auf Veränderungen in der statistischen Erfassung. Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesagentur für Arbeit wirkt hervorragend, insbesondere zum eigenen Nutzen. Auf nicht vorhandene Arbeitsplätze ist kein Mensch zu vermitteln. Betreuungsplätze und Qualifizierung helfen dann auch nicht in Arbeit, wenngleich sie den individuellen Belangen der Hilfesuchenden gerecht werden und deswegen auch weiter entwickelt werden müssen. In den Medien und in den Köpfen der Menschen hat sich bereits eine tief greifende Veränderung vollzogen. Im alten Arbeitsamt wurde Arbeit vermittelt, es benannte sich in Agentur für Arbeit um, und schleichend wurde aus der auch für Langzeitarbeitslose zuständigen Arbeitsvermittlung eine Jobbörse. Danach finden die Menschen – wenn überhaupt – weniger Arbeit, sondern eher geringfügige Jobs, bekommen Billiglöhne ohne Perspektive. Es geht eher um ein opportunes Bild für die Öffentlichkeit als um fördernde Hilfe für den/die Arbeitslosen. Da der Blick auf das Zusammenspiel zwischen Wirtschaft, Politik, Konsum, Arbeitslosigkeit und sozialem Frieden vor Ort wahrscheinlich differenzierter und damit besser ist als aus der abgehobenen Perspektive der Bundesagentur für Arbeit, sollte endlich begonnen werden, die Entscheidungskompetenz und Verantwortung für die notwendigen Schritte zur Verbesserung der Situation Langzeitarbeitsloser den Kommunen und Landkreisen zu übergeben. Die dadurch schrumpfenden Ressourcen und Finanzmittel der Bundesagentur könnten dort eingesetzt und besser genutzt werden. ROLF SCHEYER, Köln

Unter Druck und schikaniert

■ betr.: „Die Motivationsbremse“ von Hannes Koch, taz v. 12. 1. 10

Die Reformen des Sozialsystems, die in den sogenannten Hartz-IV-Reformen gipfelten, haben eine fundamentale Veränderung der Einschätzung von Bedürftigen in unserer Gesellschaft zum Ausdruck gebracht. Arbeitssuchende werden nicht mehr als Menschen wahrgenommen, die unverdientermaßen ihren Beruf verloren haben und die man bei der Suche nach einem solchen unterstützen muss, sondern als prinzipiell faules Gesindel, das man mit vielerlei Mitteln motivieren muss, doch mal gründlicher zu suchen und gegebenenfalls von dem unerträglichen Anspruch abzulassen, eine ihrer Ausbildung adäquate oder auch nur menschenwürdig bezahlte Stelle finden zu wollen.

Während in orwellhaftem Newspeak die Arbeitsagenturen als Dienstleister bezeichnet werden, wurden Menschen kaum jemals seit Bestehen der BRD so von einer Institution gegängelt. Arbeitsagenturen helfen den Menschen nur in Ausnahmefällen unterstützend bei der Suche nach einem Arbeitsplatz. Von den Betroffenen werden sie als Dienststellen wahrgenommen, die sie unter Druck setzen und schikanieren, sie zu sinnlosen Bewerbungen zwingen (zum Beispiel auf Stellen, für die sie in keiner Weise geeignet sind), um nachweisen zu können, dass auch in Zeiten akuten Arbeitsplatzmangels jedem Bewerber eine Stelle angeboten wurde; die ständig versuchen Gründe zu finden, um ihnen die Leistungen zu kürzen. Dies liegt nicht an den Sachbearbeitern, diese sind oft selbst nur befristet eingestellt und müssen „Erfolge“ vorweisen. Das System wurde konstruiert, um die Kosten des Sozialsystems so weit wie möglich zu senken und Menschen in Billigstlohnjobs zu drücken.

Ist das wirklich die Art, wie wir mit Menschen in diesem unserem Lande umgehen wollen? Ist das die Motivation, die Arbeitslose und Bedürftige brauchen? OLAF IPPISCH, Schriesheim

Ja, was denn nun?

■ betr.: „Ist Margot Käßmanns Kritik am Afghanistankrieg mutig?“, Contra von Jörg Sundermeier, taz vom 9. 1. 10

Was hat das mit Moral zu tun, wenn sich Frau Käßmann in einer Predigt zu Afghanistan äußert? Im Weiteren widerspricht sich der Schreiber selbst, indem er auf der einen Seite die stets ach so allgemeinen Vorwürfe gegen „die Kirche“ zum Waffensegnen und zu fehlender Stellungnahme in früheren Kriegen bemüht. Nun, da endlich die höchste Repräsentantin dieser Kirche den Mut hat, öffentlich zu benennen, dass in Afghanistan derzeit nichts gut ist, gilt dies in seinen Augen nicht als mutig, mehr noch, auch als moralisch falsch. Andererseits hat selbst Herr Sundermeier mitbekommen, dass der Nato-Einsatz in vielerlei Hinsicht falsch läuft. Ja, was denn nun!?

PETER ELWERT, Reutlingen