LESERINNENBRIEFE :
Sozial schwache Reiche
■ betr.: „Sozial schwache Kinder häufiger Opfer von Gewalt“, taz vom 4. 6. 13
In einer ärgerlichen Häufigkeit muss ich in der taz in Zusammenhang mit sozial benachteiligten Kindern und Erwachsenen von „sozial schwachen“ Menschen lesen. Menschen aus den Lebensumständen, die unter dem Schlagwort thematisiert werden, mögen einkommensschwach, sozial benachteiligt, chancenarm sein. Deshalb müssen sie noch lange nicht „sozial schwach“ sein. Das sind doch eher die, die ihr Geld ins Ausland schaffen, ihre Kinder auf Privatschulen geben und so die Integration verweigern oder sich in bewachten Wohnquartieren von ihren weniger gut gestellten Mitbürger_innen separieren. Ich möchte nicht in Abrede stellen, dass es einen statistischen Zusammenhang zwischen sozialer Lage und bestimmten Verhaltensweisen geben mag (im dargestellten Fall: Gewalt von Eltern gegen ihre Kinder). Er unterstellt aber den Angehörigen dieser Gruppe per se sozial minderbemitteltes Verhalten. KATRIN MOHR, Berlin
Verdrängungspolitik in der Wüste
■ betr.: „Nur eine Nummer in der Wüste“, taz vom 5. 6. 13
Bei der Zwangsumsiedlung der Beduinen geht es nicht darum, diese endlich ins 21. Jahrhundert zu katapultieren, um sie an der Entwicklung der Region Negev/Naqab teilhaben zu lassen, wie Frau Knaul schreibt, sondern um Verdrängung und Nichtanerkennung der Rechte der indigenen Bevölkerung dort. Die Menschen sollen in Planstädte wie das im Artikel erwähnte Rahat ziehen, das schon jetzt für die palästinensische Bevölkerung des Negevs elende Lebensbedingungen bietet, mit schlechter Infrastruktur und extrem hoher Arbeitslosigkeit. Der israelische Prawer Report legt für diese Planstädte zudem eigene Kriterien über Bevölkerungsdichte, Größe und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit fest. Diese für die Stadtplanung wichtigen Größen gelten nicht für die jüdischen Städte und Gemeinden im Negev. (jnews.org.uk). Mit dem 1965 erlassenen Planning and Building Act wurde ein Gesamtplan für das Gebiet aufgestellt. Der israelische Staat ignorierte damals die Existenz palästinensischer Dörfer und trug diesen Boden einfach als Agrarland ein. Palästinenser, die später wieder versuchten, an ihre ursprünglichen Wohnorte zurückzukehren, erhielten auf dieser gesetzlichen Grundlage keine Baugenehmigung. Infos: Negev Coexistence Forum (dukium.org/eng), The Legal Center for Arab Minority Rights in Israel (adalah.org), Alternative Information Center (alternativenews.org) oder Human Rights Watch (hrw.org/en). MANUELA KUNKEL, Stuttgart
Toughe Sexarbeiterinnen
■ betr.: „Ich kenne kein einziges Opfer von Zwangsprostitution“, taz v. 31. 5. 13
Immer wieder seid ihr bemüht, Prostitution als etwas Akzeptables darzustellen; immer wieder kommen toughe Sexarbeiterinnen zu Wort, die selbstbewusst gutes Geld verdienen und sehr zufrieden sind. Also mal von Seiten der Prostituierten: Warum der hohe Drogenkonsum unter ihnen, wenn’s doch so toll ist? Warum wird ihre Tätigkeit – der einzelne Vorgang dauert gewöhnlich nicht lange und ist einfach zu bewerkstelligen – so hoch bezahlt? Weil auch noch das Intimste zu verkaufen, das in den Zusammenhang von Nähe und Leidenschaft gehört (zumindest punktuell), eine ungeheuere psychische Belastung bedeutet! Und dann die Frage an euch, liebe Redakteurinnen: Wäret ihr begeistert zu erfahren, dass euer Mann/Freund/Partner öfter mal zur Entspannung zu Prostituierten geht? Und ihr, liebe Redakteure: Könntet ihr damit leben, dass eure Frau/Freundin/Partnerin für Geld Sex mit allen möglichen Männern hat? Na also. Bleibt die Frage: Haltet ihr das für besonders links, es zu bejubeln, wenn vollends alles Ware ist? Solltet ihr nicht darüber nachdenken, wie krank eine Gesellschaft sein muss, die Prostitution braucht? CORNELIA KELLERER, BOOS
Konkurrenz behindert Kreativität
■ betr.: „Die Angst der Linken“, taz vom 7. 6. 13
Ich habe auch oft das Gefühl, dass gerade die Linke mit der fossil angetriebenen Industriegesellschaft noch mehr verheiratet ist als die „Konservativen“: Technik und Wachstum als zentraler Hoffnungsträger (ab ins „Reich der Freiheit“) und als Ergebnis der Leistungen der Arbeitnehmer, da hängt man auch emotional an den Produkten fest, wenn der Finanzjongleur längst schon andere Verwertungsmöglichkeiten gefunden hat.
Was ich wichtig finde: Wir sollten auch die anderen Paradigmen aus dem Dogmenkartenhaus des Kapitalismus infrage stellen. Dazu gehört Freihandel, Konkurrenz und Wettbewerbsfähigkeit. Gerade Letztere wird ja ständig als „Begründung“ für soziale und ökologische Schweinereien angeführt. „Europa“ ist deshalb ein einziger Widerspruch: Es soll demokratisch und kooperativ sein, aber gleichzeitig werden die Staaten und Individuen in die Konkurrenz untereinander gejagt. Es wird in einer „Post-Wachstums-Gesellschaft“ nur wenige Bereiche geben, in denen Wettbewerb sinnvoll ist. In der Technik ist es der Traum aller Ingenieure, „technische Gemeinschaftsarbeit“ zu machen, um den Gebrauchsnutzen der technischen Artefakte zu optimieren – modern vorgeführt im Erfolg der „Open-Source“-Konzepte in der Soft-Ware-Entwicklung, inzwischen auch für Hardware.
Heute werden die Ingenieure aber durch Konkurrenz, Betriebsgeheimnisse und Patentwesen vielfältig daran gehindert, „gute“, sozial und ökologisch nützliche Technik zu entwickeln. Konkurrenz um Marktanteile belebt nur das Geschäft, nicht die Kreativität! WOLFGANG NEEF, Berlin