LESERINNENBRIEFE :
Ignoriert und ausgegrenzt
■ betr.: „Die Nabelschau der Frauenministerin“, taz vom 16. 3. 10
Heide Oestreich schrieb zum neu erstarkenden Frauenbild der deutschen Wirtschaft, dass Frauen offensichtlich nicht nur ausgesperrt wurden, „weil aktive Elternschaft und Karriere sich ausschließen. Studien zeigen auch, dass massive Vorurteile die gläserne Decke sichern: Frauen werden unterschätzt […], übersehen“. Ich habe erfahren, dass genau das nicht der Fall ist. Es wird weniger unterschätzt und übersehen als vielmehr ignoriert und ausgegrenzt. Diese Konstruktion von Gender macht die permanente Pflege der alten Vorurteile erst möglich, ohne dass man(n) es noch bewusst reflektiert. Aber auch dann funktioniert das eine nicht ohne das andere. Viel interessanter ist die Frage, welche Prozesse wirklich verändern oder nur dazu dienen, das Glas neu zu putzen. Letzteres heißt konkret: Dabei werden als „störend“ empfundene Lebensaufgaben weiterhin ausgegrenzt, um entsprechende Unfähigkeiten, nicht mehr Gewohntes oder Ängste abzuschirmen und/oder eigene Pfründen zu wahren.
So kämpfen die Gewerkschaften heute vor allem für den Erhalt der meist männlichen Vollzeitarbeitsplätze, obwohl sie Frauen ermöglichen sollten, praktikabler in die Lohnarbeit einzusteigen, mit einer eigenen vergleichbaren Existenz (wie es im Zweifelsfall bereits im Gesetz verlangt wird). Die Wirtschaft müsste Frauen mit offenen Armen empfangen, weil Frauen ja nachweislich innovativer sind und man mit ihnen gemeinsam mehr Umsatz macht. Das heißt, sie könnten Männern lieber Fortbildung in Kindererziehung, Pflege und Hauswirtschaft verschaffen, aber davor ist ja noch die gläserne Wand. Vollzeitarbeitsplätze konnten einst nur entstehen mit einer Frau früher am Herd, heute im Rücken. Zwar wird längst in der Kantine gegessen – dafür gibt es die höheren Anforderungen an die Kindererziehung und -gesundheit sowie den modern Lifestyle (bis hin zur banalen, aber zeitraubenden Müllsortierung von Hand und dergleichen).
Außerdem braucht der traditionelle Mann ihre und seine Zeit auch für die Pflege seiner Seilschaften, seine Erholung etc. (und Frauen lassen sich brauchen – „natürlich“ so lange sie keine eigene Existenz haben bzw. Doppelbelastung hart und der ganze Komplex sowieso etwas komplizierter ist). Frauen mit Kindern (oder potenziellen) sind also immer einbezogen und ausgegrenzt. Mitgearbeitet und zuverdient haben die meisten Frauen zu allen Zeiten. Was ändert sich, wenn einige Frauen nun die gläserne Decke unter sich haben, aber es über ihnen gefährlich kriselt? Also sollten Frauen ihre eigenen „Seilschaften“, ihren eigenen Stand mehr pflegen! Doch „ aktive Elternschaft“ (Heide Oestreich), die in der Regel ja immer noch „eine Mutter schafft“ ist, lässt dafür wenig Zeit und Kraft. Da vor allem beißt sich die Katze in den Schwanz – und natürlich sind auch wir Frauen mehr oder weniger in dieser patri-organisierten Kultur groß geworden. Das wissen Männer aus Jahrtausenden weltweit instinktiv: Frauen sind hier wie dort noch immer Verhandlungsmasse.
Also Väter/Männer: Seid lieber inländische Pioniere, setzt euch auch mal in die Nesseln mit eurer Nachkommenschaft und geht nicht nur sonntags sportiv Eis essen mit ihnen und sucht sie nicht erst, bei Scheidung wach geworden, übers Gericht. In diesem Sinne kann/sollte sich die Frauenministerin ruhig mal viel um die Jungs kümmern, damit nicht immer nur die Mütter schuld sind, wenn die nächste Generation nicht genug geknuddelt wurde, die Alten zu allein sind etc. HEILWIG KÜHNE, Fischerhude
Sehnsuchtsvoll zurück in die 60er
■ betr.: „SPD versöhnt Gewerkschaften“, taz vom 23. 3. 10
Wenn es stimmt, dass Gabriel die SPD dazu bringen will, jede Form der Nichtnormalarbeit „zu bekämpfen“ und den „unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjob“ wieder zur Regel zu machen, dann hat die SPD zwar aus der Hartz-Krise gelernt, sich aber nicht weiterentwickelt, sondern ist sehnsuchtsvoll wieder in den scheinbar goldenen 60er Jahren angekommen.
Ist ja deren Sache – aber wäre es nicht an der Zeit, dass auch die SPD zur Kenntnis nimmt, wie die (selbstverständlich männliche) Vollzeitbeschäftigung zur Geschlechterdiskriminierung beiträgt? Dass es darum ginge, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen (eine Spannweite vom Minijob aus Not bis zur freiwilligen befristeten und hoch bezahlten Projektarbeit) Arbeitenden sozial abzusichern, statt sie zu bekämpfen? Oder, dass bei den richtigen Rahmenbedingungen (ich denke da an ein Grundeinkommen) Flexibilisierung, Teilzeitarbeit und der Wechsel zwischen Phasen der Erwerbsarbeit und anderen Zeiten zu einem erfüllten Leben beitragen können, das nicht nur in Erwerbsarbeit besteht? Ein Zurück in die fordistische Vergangenheit, die sich Gabriel wohl wünscht, taugt jedenfalls nicht als Landkarte für eine solidarische Moderne.
TILL WESTERMAYER, Freiburg