LESERINNENBRIEFE :
Unstrategisch und unpolitisch
■ betr.: „Der Krampf geht weiter“, taz vom 2. 7. 10
Das Interessanteste an der Bundespräsidentenwahl ist, dass sowohl Grüne und SPD als auch die Linken mit ihren gegenseitigen Anwürfen in vielen Punkten recht haben. Strategisch versagt haben jedoch die Linken mit ihrer unsäglichen Nominierung der honorigen Luc Jochimsen. Unsäglich nicht, weil aussichtslos, sondern unsäglich, weil nicht aktiv mit Jochimsens Positionen geworben wurde. Stattdessen wurde Joachim Gauck seine Bejahung von Hartz VI und des Afghanistaneinsatzes vorgehalten. Auf eine Auseinandersetzung mit dem CDU-Rechten und Förderer der deutschen Evangelikalen, Christian Wulff, wurde gleich ganz verzichtet. Stattdessen taten Gysi, Lötzsch und Ernst wider besseres Wissen so, als ob Bundespräsidenten operativ Politik machen. Das war ungefähr so aufrichtig wie der Vorwurf von Nahles (SPD), dass die Linken einen ostdeutschen Bundespräsidenten verhindert hätten. Natürlich wissen auch die Linken, dass das deutsche Staatsoberhaupt nur ein besserer Grüßaugust ist. Gerade deshalb wäre es materiell folgenlos, aber von großem symbolischem Charme gewesen, im zweiten Wahlgang Joachim Gauck zu wählen. Das hätte Schwarz-Gelb dem überfälligen Ende näher gebracht und das Lieblingsargument von SPD und Grünen, die Linke hätte ihr Verhältnis zur DDR nicht geklärt, elegant beerdigt. Die Taktik der Linken in der Bundespräsidentenwahl war nicht nur unstrategisch, sondern auch unpolitisch. KERSTIN HERBST, Berlin
Kurz und klar
■ betr.: „Was zur Wahl stand – und steht“, taz vom 2. 7. 10
Sehr geehrte Frau Gaus, ein Auszug des Kommentars im Deutschlandradio hat mich veranlasst, die Website der taz aufzurufen und nach dem Kommentar zu suchen. Ich möchten Ihnen zu Ihrem Kommentar meine Anerkennung aussprechen. In aller Kürze und trotzdem mit der gebotenen Klarheit haben Sie die Vorgänge vortrefflich kommentiert und damit einen Kontrapunkt zu all den unsäglichen Kommentierungen der meisten anderen Medien gesetzt, die von Voreingenommenheit und mangelnder Objektivität nur so strotzen.
EVA HILLER, Nürnberg
Schwarz-Rot-Gold
■ betr.: „Eine multikulturelle Farb-konstruktion, taz vom 1. 7. 10
Ich danke der taz und Jan Feddersen für diesen hervorragenden, unverkrampften Kommentar.
Es ist doch wahrlich ein echter Grund zur Freude, dass zumindest im Fußball die Alteingesessenen/Eingeborenen und die Hinzugekommenen vereint sind. Zumal diese Mannschaft, die in Südafrika für unser Land antritt, ein Abbild der multiethnischen Gesellschaft ist.
Schwarz-Rot-Gold hat eben mehr mit Toleranz, Modernität und Freude zu tun als mit Konservatismus, Ausgrenzung und Nationalismus.
RENÉ GÖGGE, Hamburg
Alibi-Migranten-Fähnchen
■ betr.: „Schwarz-Rot-Gold?“, taz vom 29. 6. 10
Fähnchen, Fähnchen und kein Ende! Ich kann es nicht mehr hören, sehen, lesen! Dieses Pferd, auf dem von euch und den anderen Medien immer noch herumgeritten wird, ist tot, tot, tot! Ob ich nun linksunterobernationalextremfeindlichantideutschsonstwas bin, ist mir so egal. Mir geht es nur tierisch auf die Nerven, wie ernst diese Euphorie diskutiert wird. Sie ist schlicht schlichten Gemüts. Genauso wie öffentliche Kundgabe von Glaube durch einen aufgeklebten Fisch oder von Eheglück durch penetrantes Gehupe: alles eine höchst dumpfe Aufdringlichkeit, gegen die man sich nicht wehren kann. Es wird schlicht davon ausgegangen, dass die eigenen höchst privaten Glücksempfindungen fremde Leute zu interessieren haben. Und immer diese Alibi-Migranten-Fähnchen! Meine Güte, als wenn Fähnchen wirklich die Gesellschaft revolutionieren könnten. Seht es ein: Das alles ist schon so oft gewendet und immer noch totlangweilig und eindimensional, es behält auch trotz nochmaligen und immer weiteren Umdrehens nicht mehr als eine Ebene! Glücklich das Land, das keine Fahnen braucht! Glücklich die Zeitung, die keine Menschenversteher beschäftigt.
REGINE BAYER, Bayreuth
Fahnen-Besoffenheit
■ betr.: „Eine multikulturelle Farbkombination“, taz v. 1. 7. 10
Macht die taz jetzt auf patriotisch? Warum muss man die schlichte Selbstverständlichkeit, allen Migranten politische und gesellschaftliche Teilhabe zu verschaffen, schwarz-rot-gold aufblasen? Ist das dumpfe Fahnenschwenken, „diese schwarz-rot-goldene Euphorie“ plötzlich ein „Grund zur Freude“, weil Migranten das jetzt auch tun? Bin ich auf einmal antideutsch oder gar dem Wahn verfallen, nur weil ich diesen übermäßigen Fahnenrausch beknackt finde?Diese ganze Fahnen-Besoffenheit ist für mich beängstigend. So bereitet man ein Land auf Kriege vor. EMMO FREY