LESERINNENBRIEFE :
Dreiste Abzocke
■ betr.: „Die Mega-Reform kommt“, taz vom 23. 10. 10
Wie dreist wollen die uns eigentlich noch abzocken? Jetzt sollen wir für Leistungen bezahlen, die wir gar nicht in Anspruch nehmen – eventuell weil wir sie einfach nur Scheiße finden wie unser TV-Angebot. Oder rechtfertigen die das damit, dass man zum Beispiel während eines Besuchs beim Nachbarn den TV-Apparat im Wohnzimmer stehen sehen könnte? Darf dann der Bäcker in Zukunft auch für Semmeln abkassieren, die ich gar nicht kaufe (immerhin kann ich sie schnuppern – sofern sie frisch sind)? Verlangen die dann als Nächstes Kfz-Steuern, unabhängig davon, ob man ein Kfz oder überhaupt den Führerschein hat, weil man auch als Fußgänger ab und zu nicht umhinkommt, die Straße zu überqueren? BARBARA SCHLICHT, Heimenkirch
Prophylaktische Steuer
■ betr.: „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch“, taz vom 25. 10. 10
Küppersbusch argumentiert bei der GEZ-Frage wie einer, dessen Interessen sich mit den Öffentlich-Rechtlichen verbandeln. Es ist schon etwas verquer lustig, ÖR, Gesundheitswesen und Schule in einen Topf zu werfen. Die Beiträge zur Krankenversicherung leistet – fast – jede/jeder als Mitglied einer Solidar- oder Versichertengemeinschaft, um das Risiko immenser Kosten auszuschalten. Zum Schulbesuch verpflichtet der Staat alle. Wogegen soll mich eine ÖR-Steuer versichern? Gegen schlechte Qualität von Sendungen? Stellen mir die ÖR einen Fernseher und ein Radio in die Wohnung? Zwingt mich die ÖR-Abgabe, jeden Tag mindestens einige Stunden vor der Glotze zu hocken, dem Radio zu lauschen? Bestimmt freut sich Herr Küppersbusch schon darauf, zum Beispiel für seinen Nichthund, sein Nichtauto, sein Unvermögen, sein Nichterbe eine prophylaktische Steuer zahlen zu dürfen. GERT GROPP, Gangelt
Hebammen sind Spezialistinnen
■ betr.: „Hausbesuch bei Rösler“, taz vom 22. 10. 10
Ich habe selbst zwei Kinder in einem Geburtshaus und damit ausschließlich in Betreuung von freiberuflichen Hebammen zur Welt gebracht. Das war die schönste Erfahrung meines Lebens, und einen besseren Start ins Leben hätten meine Kinder nicht haben können. Die Vorstellung, dass diese Möglichkeit durch die aus völlig absurden Gründen gestiegene Haftpflichtversicherung für Hebammen nun ins Wanken gerät und seit Juli jede zehnte freiberufliche Hebamme die Geburtshilfe eingestellt hat, erschüttert mich zutiefst.
Aber was wollen wir von einem FDP-Gesundheitsminister in der Situation erwarten? Dass er den privaten Versicherungen die Gewinnmargen streitig macht? Sicher nicht, das ist schließlich seine Klientel. Genauso wie die Ärzte, die ja schon lange finden, dass sie die besseren Geburtshelfer sind und seit Jahrzehnten den Hebammen ihren Status streitig machen. Wir müssen in Deutschland endlich anfangen, die Leistungen und die Expertise unserer Hebammen hoch zu schätzen. Sie sind die Spezialistinnen rund um die Geburt, werden aber meist nur als Handlangerinnen gesehen und bezahlt. Das muss sich ändern. Da sind auch die Krankenkassen in der Pflicht, die gut daran sparen, wenn sich eine Frau auf ihre Hebamme verlässt anstatt auf einen Arzt, egal ob bei der Geburt oder der Vorsorge.
SANDRA GOLDSCHMIDT, Hannover
Die „Arroganz der Macht“
■ betr.: „Oh Gott, schon wieder Stuttgart 21“, sonntaz vom 23. 10. 10
Es ist also die „Arroganz der Macht“ seitens der „Entscheidungsträger“, die ein regionales Projekt zu einem solchen gesellschaftspolitischen Präzedenzfall macht.
Ein anderer politischer „Entscheidungsträger“ ist Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Und als „Arroganz der Macht“ kann man es wohl getrost bezeichnen, dass Rösler erst gar nicht ernsthaft versucht zu vertuschen, dass er gerade die gesetzliche Krankenversicherung mittelfristig de facto abschafft, und das zugunsten der Privatversicherer, deren ehemaligen Vizecheflobbyisten er bereits Anfang des Jahres zum Leiter der Grundsatzabteilung seines Ministeriums machte. Bei der Stuttgarter „Arroganz der Macht“ geht es um ein überdimensioniertes, überteuertes, regionales Bauprojekt. Bei Röslers „Arroganz der Macht“ geht es um die Abschaffung eines gesamten Sozialversicherungszweigs und die Gesundheit künftiger Generationen. Ich freue mich deshalb – entsprechend eurer Begründung zu Stuttgart 21 – auf mindestens vier Titelseiten in Folge zu Kopfpauschale und Co. TIMM STEINBORN, Berlin