piwik no script img

Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Ein kleines Kunstwerk

■ betr.: „Skål, Miss Sophie!“, taz vom 31. 12. 10

Wenn Sie glauben, Frau Osborne, dass die Komik und Popularität von „Dinner for One“ lediglich darin besteht, dass ein Subalterner zum Konsum großer Mengen Alkohols genötigt wird und entsprechend besoffen durchs Bild torkelt respektive über den Kopf des Tigerfells stolpert, dann irren Sie sich. Er „gurgelt“ auch nicht „bei jedem einzelnen Glas“ sein „Must I, Miss Sophie?“. Diese Frage stellt James nur, wenn er den unanwesenden Admiral von Schneider mimt, dessen Markenzeichen anscheinend das Hackenzusammenknallen war, was dem betagten Butler sichtlich Schmerzen bereitet, da er wohl unter Fersensporn leidet: ein Knochenauswuchs im Fuß, der sehr berührungsempfindlich ist. Die eigene Pein missachtend, erfüllt die treue Seele jedoch bei jedem der vier Gänge den Wunsch seiner Arbeitgeberin, wobei allerdings, wie langjährige Fans sich erinnern mögen, am Schluss die Ausführung des Hackenknallens an alkoholbedingter Koordinationsschwäche leidet.

Ein Höhepunkt der Komik ist jedoch des Butlers Darstellung von Sophies zwar eingeladenen, jedoch allesamt verstorbenen Gästen. Hierbei zollt James jedem Einzelnen in seiner Individualität Tribut: dem brummenden, polterigen Sir Toby, der immer noch mal nachgeschenkt braucht; dem zackigen (deutschen?) Admiral von Schneider, dessen einsilbig gebelltes „Schkol!“ stets stehend und mit Hackenzusammenschlagen ertönt; dem mit eunuchenhaft hoher Stimme dahinzwitschernden Mr. Pommeroy, den man sich dick, rosig und glatzköpfig vorstellt; sowie dem jovialen Winterbottom, der dröhnend, mit nordenglischem Akzent und nach Gutsherrenart Komplimente an die Gastgeberin austeilt: ein Schwadroneur erster Güte. – „Dinner for One“ ist und bleibt ein kleines Kunstwerk!

GISELA GRAF, Magdeburg

„Schöne neue Welt“

■ betr.: Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin

Der Ton, den Frau Merkel in ihrer Neujahrsansprache angeschlagen hat, ist mittlerweile bekannt und lockt keine frustrierte Bürgerin oder keinen desillusionierten Bürger mehr hinter dem Ofen vor. „Schöne neue Welt“ lässt sich Deutschland nicht mit dem süßesten Lächeln mehr vorgaukeln. Deutschland ist noch nicht ganz kaputt und hat sich irgendwie über jede Krise hinweggerettet. Aber wenn Frau Merkel die sinkenden Arbeitslosenzahlen erwähnt, lässt sie diejenigen, die sich früh berenten lassen mussten und bei einer kärglichen Grundsicherung ihr Leben fristen, unter den Tisch fallen. Auch über die umstrittene Atompolitik und die längst nicht gelöste Entsorgungsproblematik verliert sie kein Wort. Ein bisschen hat sie „Alice im Wunderland“-Stimmung verbreitet, aber die Deutschen nehmen ihr das nicht mehr ab. IMME KLEE, Hamburg

„Wo soll et hin?“

■ betr.: Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin

Sehr jeehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie halten uns ja nu jedes Jahr eene schöne Rede an Ihr Volk, wat wir fürn tolles Land sind (ja, sind wir ooch) und wat Sie schon alles Jutes für uns jetan haben (na ja). Und nu hab ick mir jedacht, dat ick mir ooch mal erkenntlich beweisen wollte und Sie ooch mal eine Rede halten könnte.

Und zwar is der Kern von meine Rede die Kernenerjie, also Ihre Atompolletik. Da werden Sie ja in Ihre Ausbildung ooch schon mal wat von jehört haben, dat bei die Jewinnung von Strom aus die Atomkerne jede Menge hoch giftiger radioaktiver Müll anfällt, und zwar so ville, det jeht unter keene Kuhhaut. Aber da soll et ja ooch nich hin. Wo soll et hin? In een sicheret Endlager. Hamse eens? Ick jlobe, nee. Oder könn Sie garantieren, dat nich innerhalb von die nächsten 40.000 Jenerationen von de Menschheit – und so lange strahlt dat Zeuch – nich irjendeene kleene Umweltkatastrophe passiert? Und denn kommt der janze Pröttel aus de durchjerosteten Fässer widder anne Oberfläche. So. Könnse det garantiern? Ick jlobe, nee. Und falls Sie da noch Erklärungsbedarf haben, denn holen Sie sich ma diesen Ranga Yogischwarm ausn Färnsehen inne Rejierung, der kann Sie dat noch ma janz anschaulich erläutern. THOMAS HEIDER, Mülheim

Nur die zweite Wahl

■ betr.: „RWE-Chef Großmann ist der Dinosaurier des Jahres“, taz vom 30. 12. 10

Hier ist der Nabu eindeutig zu kurz gesprungen. Großmann ist nur die zweite Wahl. Der Preis gebührt eindeutig und mit großem Abstand Bundeskanzlerin Angela Merkel! Die Art, wie sie den Ausstieg aus dem Atomausstieg ohne Rücksicht auf Verluste (für das Land, das Klima, die Demokratie) durchzog, war atemberaubend: Auftragsvergabe des Gutachtens an ein von RWE gesponsertes Institut (RWI) mit wissentlich falschen Prämissen und Szenarien als Vorgabe. (Und trotzdem geht die Notwendigkeit der Verlängerung aus dem Gutachten nicht hervor.) Im Eiltempo durch den Bundestag durchgepeitscht, fast ohne Diskussion, ohne Vermittlungsausschuss trotz Antrag der Opposition (eine Art Selbstentmachtung des Parlaments). Bundesrat ausgeschaltet, obwohl die Länder die Arbeit damit haben werden (Sicherheit). Einen Geheimvertrag mit der atomaren „Viererbande“ geschlossen (eher von dieser diktiert – wie auch das Gesetz selbst –, kam nur an die Öffentlichkeit, weil sich da einer verplappert hatte), in dem sie die eventuell zu hohen Kosten der Nachrüstung für die Sicherheit (die Hürde natürlich niedrig gelegt) mit den Abgaben für die Förderung erneuerbarer Energien verrechnen dürfen. (Ob da was überbleibt für die Erneuerbaren?) Geradezu ein Schulbeispiel für reinste Klientelpolitik. PETER DANGELOWSKI, Prisdorf