LESERINNENBRIEFE :
Lerne, was dich interessiert
■ betr.: „Lerne hart und pinkel wenig“, taz vom 26. 1. 11
Lerne, was dich interessiert, und pinkel, wenn du musst. Sollte sich das deutsche Bildungssystem am asiatischen Erziehungs- und Lernmodell orientieren? Dort wird die Disziplin ganz großgeschrieben, die individuelle Freiheit verstaubt in der Schreibtischschublade der Lehrer. Wer es in Asien zu etwas bringen möchte, muss pauken mit wenig Pausen. In kurzer Zeit möglichst viel Wissen in das Hirn prügeln. Was da nun gelernt wird, ob es sinnvoll ist, soll der Lernende gar nicht hinterfragen. Sinnvoll ist, was andere entscheiden. Das selbstständige Denken wird hintangestellt, Auswendiglernen hat Priorität. Doch hat Bildung nicht auch mit Mündigkeit zu tun? Aber mündige Schüler sind fatal, schließlich können diese aufmüpfig werden. Das will der Lehrer nicht und vor allem auch nicht das Wirtschaftssystem. Deshalb schaut der westeuropäische Bildungsverantwortliche gen Osten, wo dieses System prächtig funktioniert, und in den Vereinigten Staaten wird das Lernmodell durch die asiatischstämmige Professorin Amy Chua durch ihre Buchveröffentlichung hochgepriesen. Wenn diese „Pauk oder stirb“-Mentalität an die kommenden Generationen vermittelt wird, gehen Ideen und Fantasievorstellungen beim Schüler flöten. Der Mensch wird zur Lernmaschine ohne individuelle Kreativität. Er wird zunehmend zum Baugerüst der Arbeitgeber, die bestimmen, was für die Ausführung einer Tätigkeit nötig ist. Dieser Wirtschaftslobbyismus im Bildungssystem ist in vollem Gange und schwappt über in unsere Regionen. Schließlich haben überwiegend asiatische Länder am besten beim Pisa-Vergleich abgeschnitten. „Das wollen wir auch erreichen! Deshalb müssen wir etwas ändern“, heißt es dann vom Bildungsverantwortlichen. Was aber auch gleichzeitig bedeutet: Das System, in dem wir leben, soll noch effektiver gestaltet werden. Effektivität lautet das Credo im 21. Jahrhundert. Zeit für Muße bleiben da nicht, jede Minute muss genutzt werden im Kampf um beste „Fortschritte“ in Technik, Innovation und Wirtschaftskraft. Der Mensch wird dadurch zunehmend zum Sklaven seines eigenen Vorgehens. Kinder und Jugendliche haben noch nicht den Durchblick, da ihnen Lebenserfahrung fehlt. Die nötige Lebenserfahrung für kritisches Denken wird in dieser zunehmenden Schnelllebigkeit keinen Platz mehr haben.
Lasst den Kindern doch die Zeit, die sie brauchen, um auf selbstständige Art zu erfahren, was das Leben bietet. Das Leben bietet nicht nur Arbeitsplätze und Geld. Menschen sollten gestalten und nicht von vornherein gestaltet werden. MICHAEL SENDER, Mainz
Schule mit verschiedenen Kursen
■ betr.: „Mädchen lernen manchmal besser ohne Jungs“, taz vom 26. 1. 11
Es macht also Sinn, Mädchen und Jungen in Mathe getrennt zu unterrichten, weil Mädchen länger brauchen, um ein Thema zu durchdringen, und weil sie sich mehr für das Warum als für das Wie interessieren. Das klingt für mich nicht unbedingt wie ein Unterschied, der durch das Geschlecht determiniert ist, höchstens wie einer, der mit ihm korreliert. Es mag andere Gründe geben, warum eine Geschlechtertrennung in Mathematik und den Naturwissenschaften sinnvoll ist, aber dieser Artikel hat mich höchstens von der Sinnhaftigkeit einer Schule mit verschiedenen Kursen für anwendungsorientiertere und abstraktionsfähigere Schülerinnen und Schüler überzeugt. CHRISTIAN LEICHSENRING, Bielefeld
Stramm gegen links
■ betr.: „Ziel ist, das Publikum zu irritieren“, taz vom 20. 1. 11
Dieter Nuhr wird der Totengräber des politischen Kabaretts in der ARD. Dieser Eindruck drängt sich einem auf, wenn man nicht nur das Interview in der taz gelesen, sondern auch seine Premiere im Satiregipfel am vergangenen Donnerstag gesehen hat.
Im Interview erfahren wir, dass sich nach seiner Meinung das politische Kabarett ja schon in den 80er Jahren hauptsächlich mit dem Körperumfang von Helmut Kohl beschäftigt hat. Man fragt sich hier allerdings, welche Sendungen er damals gesehen hat. Außerdem dachte ich immer, es ging um seine Kopfform. Was wir (außer butterweichen Spitzen gegen Guido Westerwelle) vom Satiregipfel in Zukunft zu erwarten haben, das wurde im Laufe der Sendung deutlich. Vor allem eines: Ökobashing (und da wird sich Westerwelle wieder freuen) wie zum Beispiel von seinem Gast Tina Teubner. Sie nahm sich mal die verknöcherten, blassen Reformhaus-Verkäuferinnen zur Brust. Ein Randthema, wenn man an die boomenden Ökosupermärkte denkt, die zurzeit voll im Trend liegen. Etwas peinlich wird’s dann aber, wenn Nuhrs Gast Alfred Dorfer seine Provokationen gegen das Frauenwahlrecht zum Besten gibt. Das ist dann tatsächlich irritierend. Sind das die „allgemeineren gesellschaftlich-politischen Dinge“, die nach Aussage von Nuhr jetzt mehr im Vordergrund stehen sollen? Gute Nacht, ARD! Gute Nacht, Deutschland!
HARTMUT GRAF, Hamburg
Nationale Opfer bevorzugt
■ betr.: „Das entscheidende Detail. Opfer erster Klasse“, taz zwei vom 26. 1. 11
In Großbritannien und Frankreich wird über Katastrophen ebenfalls stets unter Hinweis auf nationale Opfer berichtet. Typisch deutsch, dass der Autor versucht, diese Handhabung als Alleinstellungsmerkmal der deutschen Presse darzustellen.
Das entscheidende Detail in diesem Falle ist wieder einmal die einzigartige Verkrampftheit, mit der Deutsche mit ihrer Nationalität umgehen. ECKART BREITSCHUH, Hamburg