LESERINNENBRIEFE :
Gedenken an Verdener Blutgericht
■ betr.: „Kirchen wollen weiter trauern“, taz bremen vom 4. 4. 2011
Ich stimme Joachim Fischer in einem Aspekt voll zu: Wer ein Tanzverbot an christlichen Feiertagen nicht hinnehmen möchte, der sollte auch für die Abschaffung der christlichen Feiertage wie Weihnachten, Oster- und Pfingstmontag sowie den Himmelfahrtstag eintreten. Das tue ich hiermit!
Ich denke, wir brauchen in einer zunehmend säkularen Gesellschaft diese christlichen Feiertage nicht mehr. Die konfessionsfreie Bevölkerung stellt gegenwärtig mit 35 Prozent den größten Bevölkerungsanteil: Tendenz steigend. Es ist abzusehen, dass der katholische und evangelische Bevölkerungsanteil in wenigen Jahren unter die 50-Prozent-Marke sinken wird.
Daher gilt es, umzudenken: Statt der christlichen Feiertage sollte diese Gesellschaft sich ihrer demokratischen Kultur bewusst werden und etwa der Ereignisse gedenken, welche die Durchsetzung von Freiheit und Menschenrechte markiert haben: So etwa die Einführung des passiven Wahlrechtes für Frauen am 19. Januar 1919, die Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 oder die Abschaffung der Todesstrafe in der Bundesrepublik Westdeutschland am 20. Januar 1951.
Begrüßenswert wären zudem Gedenktage, die der im christlichen Namen verübten Verbrechen gedenken. Da diese so zahlreich sind, könnte hier eine jährliche Rotation hilfreich sein, um möglichst viele Verbrechen, welche die Kirche etwa im Rahmen der Kreuzzüge oder der Inquisition verübt hat, ins Bewusstsein der heutigen Menschen zu rufen: So etwa die Massenhinrichtung von 4.500 sächsischen Zivilisten in Verden im Jahre 782 (Verdener Blutgericht), die der christliche Kaiser Karl „der Große“ an der Aller köpfen, ihre Leichen in die Aller werfen ließ, weil sich diese der Zwangschristianisierung wiederholt widersetzt haben. Die über Bremen in die Nordsee treibenden Leichen sollten der noch heidnischen Bevölkerung in Bremen verdeutlichen, wo das christliche Kreuz hängt und was Gehorsamsverweigerung gegenüber der Kirche für Folgen hat.
Oder die Vernichtung des sächsisch-friesischen Bauernvolkes der Stedinger in den 1230er Jahren, das sich der ausbeuterischen kirchlichen Tributzahlungen verweigert hat. Papst Gregor IX. sowie die Bremer Erzbischöfe Hartwig sowie Gerhard II. führten einen mehrjährigen Vernichtungskrieg, dem Tausende zum Opfer fielen und den die Bremer Kirche noch über Jahrhunderte befeiert hat.
Letztlich kann ich nicht erkennen, warum Tanzen und Feiern an bestimmten Tagen die Religionsausübung oder „Trauerbefindlichkeiten“ von Menschen beeinträchtigen kann. Alle Lebensstile verdienen den gleichen Respekt, wenn sie die Freiheit der anderen Menschen achten und keinem Menschen das eigene Modell vom Glücklichsein aufzwingen. So wie die Religionsfreiheit zu akzeptieren ist, gehören für alle geltende Tanz- und Feierverbote abgeschafft.
Dr. Jörg Hutter, Bremen