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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE Die Zeichen stehen auf Trennung

ELTERN-KIND-KONFLIKT Ist das Nimmerwiedersehen mit den Eltern eine Alternative, wenn die erwachsenen Kinder deren Liebe vermissen? Reaktionen von LeserInnen zum Artikel „Blut ist dicker“ in der taz vom vergangenen Wochenende

Die Mutter

■ betr.: „Blut ist dicker“, taz v. 3. 1. 15

Im Laufe der Lektüre dieser sehr anrührend verfassten Auseinandersetzung mit der Beziehung zum eigenen Vater fiel mir irgendwann auf, dass die Mutter nur als das vorkommt, für was der Vater sie nach der Aussage des Sohnes hielt: „unterbelichtet“. Was mag der Grund sein? Der Vater hielt sie ja für das verantwortlich, was seine Söhne „gegen ihn“ hätten. Ihr Einfluss in der Erziehung der Söhne kann danach nicht so gering gewesen sein. Der begabte und erfolgreiche Autor, der das „Ergebnis“ dieser Erziehung ist, sollte also vielleicht doch ein wenig nach dem positiven Anteil suchen, den seine Mutter an seiner Entwicklung zu der Person hat, die er heute ist. Vielleicht bestand dieser Anteil nicht nur aus „Geplapper“, „Bettenbeziehen“ und der Tatsache, dass sie die „beste Köchin der Welt“ war.

CHRISTEL SCHIEF, Herrsching

Tiefe Ratlosigkeit

■ betr.. „Kann man mit Eltern Schluss machen?“, taz vom 3. 1. 15

Soeben habe ich den Artikel „Kann man mit Eltern Schluss machen?“ gelesen. Im zweiten Anlauf. Als ich die taz aus meinem Briefkasten hervorholte, war ich dazu nicht in der Lage. Zu ungeheuerlich erschien mir bereits die Fragestellung. So ungeheuerlich, dass ich statt des „kann“ ein „darf“ las.

Ich erlebe mich als Opfer meiner eigenen verkorksten Familiengeschichte: Vater Trinker und notorischer Schürzenjäger, Mutter depressiv. Die Ehe meiner Eltern wurde geschieden, als ich sechs war. Mein Vater ging nach Ostberlin, wo er für mich bis zu Zeiten meines Studiums nicht erreichbar war. Meine Mutter glänzte durch emotionale Abstinenz bei räumlicher Anwesenheit. Sie versuchte, mich bereits als kleinen Jungen dafür verantwortlich zu machen, dass sie keinen Mann mehr bekäme. Als 15-jähriger Pubertand landete ich in einem christlichen Erziehungsheim, später in einem Internat.

Über 20 Jahre lebte ich mit meinem starken, scheinbar unerfüllbaren Kinderwunsch. Bis ich mit Mitte 40 Vater wurde. Spät berufener Vater, wie ich selbst zu sagen pflegte.

Nachdem die Beziehung mit der Kindesmutter früh in die Brüche ging, legte ich meine ganzen Energien darein, den Kontakt zu meinem Kind zu halten. Ich wollte – trotz allem – ein guter Vater für meine Tochter sein. Dies gelang mir 15 Jahre lang. All den zahlreichen Anfechtungen, Widrigkeiten und Feindseligkeiten von außen zum Trotz.

Als meine Tochter pubertierte, nahmen die Konflikte stetig zu. Mittlerweile habe ich seit einem halben Jahr keinen persönlichen Kontakt mehr, weil meine Tochter mich nicht sehen möchte. Das Damoklesschwert der Trennung schwebt seitdem über mir. Obwohl ich mir keines der klassischen Vergehen (körperliche Gewalt, sexuelle Übergriffe, emotionale Vernachlässigung) habe zuschulden kommen lassen.

Nach der Lektüre des Artikels von Anselm Worthik bin ich ziemlich aufgewühlt. Beruhigt, dass das Thema Trennung auch in den Köpfen anderer Kinder herumgeistert. Das reduziert Befürchtungen eigener Schuld, die ich auf mich geladen haben könnte. Beunruhigt, weil meine Tochter keine der beschriebenen Situationen mit mir durchleben musste. Dennoch stehen die Zeichen auf Trennung. Eine tiefe Ratlosigkeit und Traurigkeit hat sich in mir breitgemacht.

WOLFGANG LEIBERG

Mitgefühl

■ betr.: „Blut ist dicker“, taz v. 3. 1. 15

Was für ein Unglück! Er will den Vater loswerden, weil er keine Liebe bekommt – starr, seit Jahrzehnten guckt er hinter sich und sieht darum die Quelle aller Liebe nicht: sein eigenes Herz, seine Selbstliebe. So bleibt ihm die Asymmetrie seiner Beziehung zum Vater verborgen: Väter können viele Kinder zeugen – Söhne kriegen, unabänderlich, nur einen Vater vorgesetzt. Eltern sind einmalige Vergangenheit; Kinder sind unvorhersehbare Zukunft.

In den Geboten der Hochreligionen (und vermutlich der meisten übrigen) heißt es ja nicht, Eltern sind zu lieben, sondern zu ehren – und das meint nicht eine Alters- oder Rentenversicherung für die Eltern, sondern ist Versprechen an das Kind: „Mit diesen Eltern ehrst du dich in deinen Wurzeln, Wurzeln aus denen du deine Zukunft wachsen lassen kannst“, ist Hinweis auf diese Pyramide von Früheren (bis zum ersten Einzeller im Kambrium), die hinter dem Nachgeborenen stehen. Ob ich die gut finde oder nicht, ob ich die will oder nicht, die bleiben da stehen und sind, wie sie sind, Vergangenheit, unabänderlich vorbei.

Veränderbar ist nur mein Blickwinkel auf die und so zugleich auf mich. Will ich mich aufreiben in der Rück-Sicht auf einen, dem „Arschloch“ für ein Hauptwort in seinem Leben zu halten wichtig ist, oder mag ich – aus purer Selbstliebe – heiter und gelassen diesem und all denen neben und hinter ihm die Ehre geben dafür, dass es mich nicht gäbe ohne sie alle, und mich, dann nach vorn schauend, dann wohlfühlen an der Spitze meiner Pyramide?

Den durch „Arschloch“ Gekränkten könnte auch ein weiterer Wechsel des Blickwinkels erleichtern: „Der brave Mann denkt an sich – selbst zuletzt“, und: „Jeder redet immer nur über sich.“ Es gibt nur Meinung, keine Deinung. Mein Mitgefühl gilt dem Gekränkten wie dem Kränkenden. In beiden erkenne ich mich selber.

JANS BONTE, Kiel

Sich „enteltern“

■ betr.: „Blut ist dicker“, taz v. 3. 1. 15

Unser Rechtssystem müsste Kindern die Möglichkeit bieten, sich unter bestimmten Umständen zu „enteltern“. Damit meine ich eine Adoption mit umgekehrten Vorzeichen. Während mit der Adoption ein neues Eltern-Kind-Verhältnis mit allen Rechten und Pflichten geschaffen wird, könnten bei der „Entelterung“ alle Kinder, nicht nur die adoptierten, ihre Verbindungen zu den Eltern kappen, beispielsweise durch eine Erklärung vor einem Standesbeamten und einen entsprechenden Vermerk in der Geburtsurkunde. Damit würden die Rechte und Pflichten zwischen Eltern, Kind und anderen Familienangehörigen erlöschen. Der „entelterte“ Mensch wäre damit familienlos. Natürlich müsste das Standesamt den Entelterungswunsch prüfen. Sicherlich werden damit die vielfältigen Verbindungen zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern nicht neutralisiert. Ich kann mir aber vorstellen, dass es diese rechtliche Möglichkeit in vielen Fällen erleichtern würde, die Trennung von den Eltern zu vollziehen. Ich denke an Situationen wie Missbrauch, Vernachlässigung oder jahrzehntelang ausbleibender Kontakt.

JENS TAMCKE, Rosengarten

Traurig

■ betr.. „Blut ist dicker“, taz v. 3. 1. 15

Der Satz: „Wie soll man mit jemandem reden, der vorgibt, wissen zu wollen, aber dann doch nichts wissen will?“, von Anselm Worthik ist auch für mich geschrieben und macht mich nach wie vor traurig. Ich habe mich vor zwei Jahren von meinem Vater getrennt, aus ähnlichen Gründen. Eine „Kündigung“ ist sicher nicht möglich, aber für das eigene Seelenheil ist ein Abbruch der Beziehung durchaus hilfreich. Meine körperlichen Symptome, die bei unseren steifen Treffen immer häufiger auftraten, sind verschwunden. Vielleicht bereue ich es irgendwann, aber derzeit ist mir mein psychischer Zustand und der meiner Kinder wichtiger. Was nicht heißt, dass es mich nicht mehr beschäftigt – siehe oben.

STEFFI WALTHER, Rostock