LÄNDERPROTEST GEGEN FINANZAUSGLEICH GEFÄHRDET „CHEFSACHE OST“: Bande oder Familienbande
Wenn es ans Teilen geht, lockern sich die Familienbande, beziehungsweise der Begriff Bande nimmt seine zweite, weniger freundliche Bedeutung an. Das trifft auch auf die „Solidargemeinschaft“ Bundesrepublik Deutschland zu.
Ende 1999 hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil dem Gesetzgeber aufgegeben, bis 2002 ein Maßstäbegesetz zu beschließen, das die Prinzipien der Umsatzsteuerverteilung und des Finanzausgleichs regeln sollte. Dem sollte bis 2004 ein neues Finanzausgleichsgesetz folgen, dessen Aufgabe es war, die Zahlungen reicher an ärmere Bundesländer und die Zuwendungen des Bundes an die Habenichtse festzulegen. Das Urteil war vernünftig, denn es schlug Schneisen der Berechenbarkeit in den Dschungel, wo zwischen Bund und Ländern und zwischen den Ländern selbst der Kampf um Aufteilung wie Transfer von Steuern tobt.
Wie sollte der geforderte Maßstab aussehen? Wie nicht anders zu erwarten, griff die Bundesregierung in ihrem Entwurf die Gleichgewichtsformel auf, die das Verfassungsgericht ihr verordnet hatte: die richtige Mitte finden zwischen der Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit jedes einzelnen Landes einerseits und der solidargemeinschaftlichen Verantwortung für die Existenz jedes Mitglieds der Ländergemeinschaft andererseits. Daraus folgt: Belastung der reichen Länder ja, aber nicht so, dass ihre Finanzkraft unter den Durchschnitt fällt. Und Förderung der ärmeren, aber so, dass die Initiative nicht erlahmt und dass sich keine Erbhofmentalität fortsetzt. Bundeszuschüsse nur als Ergänzung.
Das Problem bei der Aufstellung von Gleichgewichtsformeln sind die fundamentalen Ungleichgewichte. Oder einfacher: Die neuen Bundesländer stehen auf der Kippe. Und der Westen, in erster Linie der Bund, dann aber auch die Länder, müssen entschlossen Geldsäcke auf das eine Ende der Kippe schmeißen, damit das östliche Ende wieder hochgeht. Und das über einen langen Zeitraum. Allgemeinheit der Maßstäbe hin und her – es ist notwendig, den Solidarpakt II im Maßstäbegesetz zu verankern. Und es ist notwendig, der Initiative vor Ort bei der Verwendung der Gelder größeres Gewicht beizumessen.
Längst ist zwischen den deutschen Bundesländern die Standortkonkurrenz im Rahmen der EU entbrannt. Small wonder, dass der Bundesrat das Maßstäbegesetz als unzumutbar belastend (für die mittel bis gut gestellten Länder) verworfen hat. Was jetzt auf dem Spiel steht, ist exakt die „Chefsache Ost“. Dies sollte der Bundeskanzler bei seinem nächsten Abendessen mit NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement bedenken. CHRISTIAN SEMLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen