Kurzkritik: Benno Schirrmeister über Kapital-Performance: Doppelstunde Marxkunde
Lernen Sie im Frontalunterricht gut? Dann kommen Sie bei Michael Rettigs Produktion „Karl Marx – … die Verhältnisse zum Tanzen zwingen“ in der Schwankhalle voll auf Ihre Kosten. Denn dem Titel zum Trotz verkommen tanztheatrale Elemente dabei zum atmosphärischen Beiwerk einer Doppelstunde Marx-Kunde. Die erteilt Ralf Knapp in der Rolle eines Wiedergängers des Trierer Meisterdenkers dem Publikum, das ganz Ohr sein muss. Und schwitzt.
Er macht das mit charmanter Arroganz, und wie jede gute Lehrkraft reißt er auch ein paar Witzchen: Ja, Rettigs Text verknüpft klug gegenwärtige Erscheinungsformen des Kapitalismus mit seiner elegant kompilierten Lesart der ökonomischen Schriften. Aber weder kommt’s zu Interaktion zwischen Wort und dem abstrakten Tanz Mirosław Żydowics, der sich hinter der Bühne müht, auf der er nur als geisthafter Riesenschatten präsent ist. Noch findet ein Dialog statt mit Riccardo Castagnolas elektro-akustischen Interventionen. Nur Ulrike Hermann darf als Talking Head mit rotem T-Shirt und bei der Videoaufnahme versehentlich abgeschnittenen Händen den Vortrag intelligent und kritisch reflektieren.
Eine Textorgie hatte Rettig versprochen, vielleicht hat er ein eigenes Verständnis von Orgie: Die sinnliche Dimension von Marxens Prosa lässt er nicht zu, die Lust am Text, seine Klänge, seine Dissonanzen, seine Obsessionen, sie tauchen nicht auf, seine Bilder bekommen hier keine Bühne. Und statt in Szenen zu denken, wird in Worten belehrt.
„Karl Marx – … die Verhältnisse zum Tanzen zwingen“: bis 3. 6., 20.30 Uhr, Schwankhalle
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