Kurt Wolff: Investieren in verlegerischen Gewinn
Dandy, Großbürger, Mäzen und Verleger: Eine Ausstellung erinnert Kurt Wolff. Und erzählt, wie man viel Geld durchrbingen kann, um schöne Bücher zu machen.
Eine Scherzfrage aus dem Literaturbetrieb lautet: "Wie macht man ein kleines Vermögen?" Die Antwort: "Man nimmt ein großes Vermögen und gründet einen Verlag." Dies könnte die Lebensmaxime des Dandys, Großbürgers, Mäzens und Verlegers Kurt Wolff (1887-1963) gewesen sein. Wegen seiner Erscheinung und seiner Formen hielt man ihn für einen Aristokraten.
Eine sorgfältig konzipierte Ausstellung nähert sich dem Sohn einer Bonner Musikerfamilie unter dem Titel "Ein Literat und Gentleman" und zitiert damit den unsäglichen Film "Ein Offizier und Gentleman". Trotzdem trifft sie damit den Kern Wolffs, in dessen Verlag von 1910 bis 1930 junge expressionistische Autoren wie Franz Werfel und Georg Trakl erschienen.
Wolffs Mutter starb früh und hinterließ ihm das beträchtliche Vermögen von 100.000 Goldmark, das er durch eine gute Partie, die Fabrikantentochter Elisabeth Merck, noch vervielfachen konnte. Anfang 20, steinreich, was hätte er für ein bequemes Leben führen können! Doch statt das Dasein als Sammler deutscher Erstausgaben und als ästhetisierender Großbürger zu genießen, verkaufte er seine wertvollen Bücher, um mit Ernst Rowohlt 1910 in Leipzig einen Verlag zu gründen.
Nicht kommerzielles Kalkül, vielmehr verlegerische Neugier trieben Wolff dazu, nicht nur sein Vermögen und das seiner Frau, sondern auch vieler anderer Geldgeber, die Wolff zu begeistern wusste, in schöne Bücher zu verwandeln.
Seine bibliophilen Neigungen lebte er nun als Produzent statt als Sammler aus und förderte mit Drugulin-Drucken dabei Grafik-Künstler wie Frans Masereel, Franz Marc, Erich Heckel, Schmidt-Rottluff, Ernst Ludwig Kirchner, Klee, George Grosz, Kokoschka und Alfred Kubin.
Die Buchreihe "Der Jüngste Tag" war ab 1913 in 17 Bänden die geschlossenste Sammlung expressionistischer Dichtung. Aber auch richtige Bestseller waren dem Verlag vergönnt, Rabindranath Tagore verkaufte sich bis 1923 über eine Million Mal, Gustav Meyrinks "Der Golem" kam immerhin auf über 200.000 Exemplare, und auch Heinrich Manns "Der Untertan" war ein großer Erfolg. Jedem erfolgreichen Verleger lassen sich Missgriffe nachweisen, bei Wolff wäre vielleicht auch Oswald Spenglers "Untergang des Abendlandes" erschienen, wenn er das Manuskript nicht ungelesen zurückgeschickt hätte.
Fast singulär, aber nicht am unwichtigsten, sind zwei Fotobücher aus dem Kurt Wolff Verlag, zum einen "Die Welt ist schön" von 1928, in dem 100 Fotos von Albert Renger-Patzsch publiziert wurden. Aber ein noch bedeutenderer Meilenstein der Fotografie-Geschichte ist August Sanders "Antlitz der Zeit, 60 Fotos deutscher Menschen", erschienen 1929 mit einem Vorwort von Alfred Döblin. Schon seit Mitte der 20er-Jahre datiert August Sanders Idee einer fotografischen Bildserie "Menschen des 20. Jahrhunderts", einem "Kulturwerk in Lichtbildern".
Wahrscheinlich sind sich August Sander und Kurt Wolff 1928 in der Kölner Ausstellung "Pressa" begegnet, bei der sich fünf Millionen Besucher über das internationale Pressewesen informierten. Nicht zuletzt das schon publizierte Buch "Die Welt ist schön" muss Sander überzeugt haben, in Wolff seinen idealen Verleger zu finden.
Das traf sich mit Kurt Wolffs Interesse an der Physiognomie und den Beobachtungen Lavaters, so dass er sich auch gegen das Urteil seines Freundes, des Kunsthistorikers und Fotografie-Experten Carl Georg Heise, mit der Publikation des Bildbandes für das Werk August Sanders einsetzte. Heise schrieb: "Nach wie vor muss ich Ihnen sagen, dass ich für ein Typen-Buch von Sander nicht zu haben bin. Ich lehne jegliche Verantwortung dafür ab. Was Ihr Großherzog dazu meint, scheint mir nicht von ausschlaggebender Wichtigkeit. Auch die anderen, im Grunde ja unverantwortlichen Berater bei Gelegenheit eines Gesellschaftsabends werden zunächst den allgemeinen günstigen Eindruck haben, der aber nicht ausreicht, um einen Plan von so weitreichender Bedeutung zu verwirklichen."
Mit dem Großherzog ist wohl Ernst Ludwig von Hessen gemeint, dem also mit einem Kreis von Beratern und Wolffs Entscheidung die Veröffentlichung zu danken ist. Noch wichtiger war aber wohl, dass der Großherzog das Buch finanzierte. Die Rezensenten waren hellsichtiger als Heise, Walter Benjamin schrieb positiv und auch Kurt Tucholsky: "Sander hat keine Menschen, sondern Typen photographiert. Menschen, die so sehr ihre Klasse, ihren Stand, ihre Kaste repräsentieren, dass das Individuum für die Gruppe genommen werden darf. Döblin weist in der Einleitung sehr treffend darauf hin, wie der Tod und die Gesellschaft die Gesichter verflachen; wie sie einander angeähnelt werden, immer mehr, immer mehr, immer mehr wie schwer es ist, noch ein Bauernmädchen von einer Proletarierfrau zu unterscheiden. Was Sander da gegeben hat, ist allerbeste Arbeit."
Der wichtigste Verdienst für die Weltliteratur gebührt Wolff als erster Verleger Franz Kafkas. Oft gilt Rowohlt als der Entdecker des Prager Schriftstellers, falsch, Wolff wars!
Vorübergehend war Wolff ein "Edelsozialist" mit Verlagsbeziehungen zu Kurt Hiller, Erich Mühsam und Ernst Toller. Doch ab 1924 wand er sich von der deutschen Literatur ab und bevorzugte Maler wie Emil Nolde, Ernst Barlach, Cézanne, van Gogh, August Macke, Henri Matisse, Munch, Henri Rousseau. An Kafka allerdings hielt er fest. Aber so oder so drohte der Niedergang seines Verlages sein letztes Vermögen aufzuzehren, er musste ihn verkaufen.
Noch andere Entdeckungen sprechen für Wolffs begnadete literarische Nase: Karl Kraus, später pushte er in den USA Pasternak und Günter Grass in den Markt.
Damit kommen wir zu einem relativ unbekannten Kapitel in Wolffs Laufbahn, zu seinen Verlagen in New York City. Durch die Nazis ins Exil getrieben, brachten Kurt und seine zweite Frau Helen Wolff unter dem Label "Pantheon Books" 1942 als Erstes Frans Masereels apokalyptischen Totentanz heraus und blieben auch mit "Ulenspiegel", Grimms Märchen, mit Pasternaks "Doktor Schiwago", mit Karl Jaspers und "Günters Grasstrommel" (Heinz Ehrhard) sowie fotografischen Kunstbänden überzeugte Missionare Europas.
Die Anfänge des neuen Verlages, der später "Helen and Kurt Wolff Books" hieß, waren bescheiden, nicht nur das Lektorat fand im Wohnzimmer am Washington Square statt, auch die restliche Verlagsarbeit einschließlich Versand.
Am 21. Oktober 1963 starb Wolff bei einem Autounfall auf dem Weg nach Marbach, auf dem Nachttisch in seinem Hotel lag der Katalog der Marbacher Expressionismusausstellung.
"Kurt Wolff, ein Literat und Gentleman". Bis 9. September in Bonn, 21. September bis 22. Dezember Frankfurt a. M., 15. Januar bis 5. März 2008 Wien. Katalog 25 Euro, Weidle Verlag, Bonn
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