: Kurilentraum beendet
■ Jelzin desillusioniert Japaner vor seinem Besuch in Tokio
Tokio (taz) — In Kindesmanier hatten viele Japaner ein russisches Märchen geträumt. Wie schön wäre es gewesen, hätte Außenminister Michio Watanabe ihnen aus Moskau etwas mitgebracht. Vier Inseln hätte der russische Präsident Boris Jelzin ihnen in die Tasche stecken müssen, dann wären sie alle in Begeisterung ausgebrochen. Doch schade, der Herr in Moskau erwies sich als böser Mann: „Kein Mitbringsel aus Moskau“, mußte die Tageszeitung Asahi Shinbun gestern ihrer enttäuschten Leserschaft mitteilen.
In Wirklichkeit rettete sich Boris Jelzin vor einem Debakel. Gerade rechtzeitig vor seinem Tokio-Besuch in zehn Tagen bereitete er den bestgepflegten japanischen Illusionen auf die Rückgabe der Kurileninseln ein jähes Ende. Jelzin betonte in aller Deutlichkeit, daß an eine Rückgabe der vier umstrittenen Kurileninseln derzeit nicht zu denken sei, daß es vielmehr unerträglich wäre, wie Japan versuche, auf Rußland in dieser Sache Druck auszuüben, zumal Japan bisher von allen großen Industrienationen die geringste Hilfe für Moskau anbiete. Das waren strenge Worte für den bis Freitag in Moskau gastierenden japanischen Außenminister Michio Watanabe. Doch in Japan weiß die Regierung endlich, worauf sie sich vorzubereiten hat.
Jelzins bevorstehender Tokio-Besuch vom 13. bis 16.September folgt auf den gescheiterten russisch-japanischen Gipfel im April 1991. Damals hatte Sowjet-Präsident Michail Gorbatschow die Erwartungen hochschnellen lassen, als er ohne Verhandlungsvorgaben in Tokio erschien. Ganz Japan erwartete zu diesem Zeitpunkt, daß Gorbatschow die Kurileninseln verschenken würde. So galt seine Japan-Mission als kläglicher Mißerfolg, nachdem die Verhandlungen ergebnislos verliefen. Jelzin wird diesem Schicksal nun entgehen. Inzwischen muß es für alle Beteiligten als Erfolg gelten, wenn sich beide Regierungen auf einen Terminkalender einigen, um ihre Gespräche über einen Friedensvertrag und wirtschaftliche Zusammenarbeit fortzuführen. Denn Japan macht sowohl die Unterzeichnung eines Friedensvertrags als auch die weitere wirtschaftliche Zusammenarbeit von der Rückgabe der Kurileninseln abhängig. Sowohl in Japan wie in Rußland sind die Voraussetzungen für einen Kompromiß ungünstig. In Tokio steht die Regierung inmitten eines schweren Korruptionsskandals, und in Rußland sprechen alle landesweiten Umfragen gegen eine Rückgabe der Inseln.
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