■ Kurden und Hungerstreik: Zynische Propaganda
Eine Frau ist gestorben, die konkreten Umstände ihres Todes sind noch diffus. Doch bevor der Leichnam zur Obduktion herausgegeben wird, münzen kurdische Gruppen den Tod einer herzkranken Frau zum Märtyrertum für den kurdischen Befreiungskampf um. Die Mutter von fünf Kindern sei für den kurdischen Befreiungskampf „gefallen“, heißt es da in einem der Flugblätter. Pathos und makabre Kriegsromantik werden zu einem Propagandabrei vermischt, als sei Berlin ein Kriegsschauplatz im Osten der Türkei. Die Art und Weise, wie der Tod einer Frau routiniert-zynisch von den Funktionären genutzt wird, strapaziert selbst die Solidarität derjenigen, die das Recht der Kurden auf einen eigenen Staat unterstützen. Wen aber wollen die Hungerstreikenden überhaupt noch erreichen? Daß ihre Aktion an der starren Haltung der türkischen Behörden nichts ändern wird, dürfte vorab einkalkuliert worden sein. Geht es ihnen aber um breitgestreute Sympathien hierzulande, so sind sie auf dem besten Wege, diese zu verlieren. Das Fatale ist die Ausweglosigkeit, in die sich viele Kurden von ihren politischen Führern hineinmanövrieren lassen. Diese wiederum nutzen den durch das bundesdeutsche PKK-Verbot erzeugten Druck, durch den die politische Arbeit der gesamten kurdischen Gemeinde belastet wird. Da bleibt dann kaum Raum für leise Töne, für Zweifler und Kritiker. Den Nutzen haben die Hardliner, die in ihrem strategischen Kalkül eigenmächtig die Grenzlinie zum Verrat festlegen. Daß eine Frau, die sicherlich nicht zum Sterben nach Berlin kam, im offiziellen Sprachduktus vieler gemäßigter kurdischer Gruppen als „Märtyrerin“ gepriesen wird, zeigt, wie weit Isolation und politische Fehleinschätzung bereits blind gemacht haben. Severin Weiland
Siehe Seiten 1 und 26
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