Kurden-Konflikt in der Türkei: Noch schweigen die Waffen
In Kürze beendet die PKK ihren einseitigen Waffenstillstand. Jetzt wartet sie auf weitere politische Signale der Regierung. Die Gefahr einer erneuten Eskalation wächst.
ISTANBUL taz | In wenigen Tagen droht der Türkei eine erneute Eskalation im Krieg mit der PKK, wenn nicht noch eine politische Initiative kommt. Auf Anregung des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan hatte die Organisation bis Ende dieses Monats einen einseitigen Waffenstillstand erklärt, um Gelegenheit für politische Gespräche zu schaffen. Ursprünglich hatte die PKK lediglich während des Fastenmonats Ramadan die Waffen schweigen lassen wollen, hatte die Waffenruhe dann aber auf Wunsch Öcalans bis Ende Oktober verlängert.
Zuvor war bekannt geworden, dass die türkische Regierung über den Inlandgeheimdienst MIT mit Öcalan verhandelt hatte, unter welchen Voraussetzungen der PKK-Chef für einen Waffenstillstand während des Verfassungsreferendums zu gewinnen sei. Obwohl es Aufregung gab, als bekannt wurde, dass Premier Tayyip Erdogan indirekten Gesprächen mit Öcalan zugestimmt hatte, setzte dieser seine Politik nach dem gewonnenen Verfassungsreferendum fort.
Die frühere Koparteichefin der verbotenen kurdischen DTP, Aysel Tugluk, durfte Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali besuchen und sprach mit ihm über die Voraussetzungen für einen Friedensprozess in den kurdischen Gebieten der Türkei. Anschließend war die Rede davon, es solle eine autonome Region nach dem Vorbild Katalonien geschaffen werden. Gleichzeitig sorgte Öcalan für die Verlängerung des Waffenstillstandes.
Doch nach dem Besuch von Aysel Tugluk passierte nicht mehr viel. Öcalan beklagte gegenüber seinen Anwälten, dass ihn keine konkreten Vorschläge der Regierung erreicht hätten und die Guerilla der PKK nicht länger tatenlos bleiben werde. In der Tageszeitung Radikal beklagte der Militärführer der PKK, Murat Karayilan, dass die Armee weiter aggressiv gegen die Guerilla vorgehe. "Wir wollen einen permanenten Waffenstillstand", sagte er, "aber wir warten auf einen Schritt aus Ankara".
Statt der PKK ein Signal zu geben, reiste Erdogan nach Syrien, um mit Staatschef Baschar al-Assad über eine Generalamnesty für die syrischen PKK-Mitglieder zu sprechen. Offenbar denkt Ankara über eine umfassende Amnestie für PKK-Militante nach. In einem Interview mit der Tageszeitung Taraf erklärte Aysel Tugluk deshalb jetzt, sie plane, Öcalan erneut zu treffen, um ihn davon zu überzeugen, aktiv im Friedensprozess zu bleiben.
Das wird nicht leicht, denn die Regierung setzt im kurdischen Südosten des Landes unverändert auf Repression. Letzte Woche begann ein Großprozess gegen 151 kurdische Funktionäre, denen vorgeworfen wird, Mitglieder der illegalen städtischen Organisation der PKK zu sein. Die Staatsanwalt fordert in vielen Fällen hohe Haftstrafen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren