Kunstrundgang : Harald Fricke schaut sich in den Galerien von Berlin um
Die Zeichnung ist das große Konsensmedium der Kunst. Bildhauern dient sie zur Vergewisserung über Formen, Maler lieben an ihr den einfachen Zugang zur Zweidimensionalität, und für Künstler, die eher konzeptuell arbeiten, ist die Zeichnung ein sanfter Puffer zum Kunstmarkt. Macht diese Rundumkompatibilität das Medium nicht allzu belanglos?
In der Ausstellung „2. Int. Lückerinnerungstreffen“ bei WBD ist Zeichnen nicht Mittel zum Zweck, sondern Eigensinn. Dafür haben Christoph Bannat und Marcus Weber nicht bloß Arbeiten von acht Künstlern und Künstlerinnen zusammengestellt, sondern auch eine DVD mit abgefilmten Skizzenbüchern produziert. Überhaupt sind die Zeichnungen dermaßen dicht gehängt, dass nicht das einzelne Blatt hervortritt, sondern ein heterogener Raum entsteht.
Entsprechend umfassend sind auch die einzelnen Beiträge. Die 1977 geborene Astrid Sourkova fasst auf mehreren Tafeln wie im Märchen die Gründungsgeschichte von Tschechien zusammen. Spitzköpfige Ritter und zerklüftete Burglandschaften tummeln sich auf dem Papier, hier und da finden Kämpfe statt, im größten Tumult vermischen sich die Details zu einem abstrakten Allover aus schwarzen Strichen. Bei dem amerikanischen Songwriter Daniel Johnston entwickelt sich eine manische Comic-Story um Captain America, der gegen bedrohliche Hakenkreuze und andere Nazischergen des US-Alltags antreten muss. Zwischen Intimität und Exzess sind vor allem die Bilder von Evgenij Kozlov angesiedelt, der Ende der Sechziger Jahre für sein „Leningrader Album“ erotische Fantasien zu zeichnen begann. Seine seltsam über Stuhllehnen und Sofas gebogenen Frauenkörper sind zugleich drall wie Marilyn Monroe und in ihrer starren Erregung doch so rätselhaft wie die Bühnenfiguren eines Pierre Klossowski.