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Kunstquartier VenedigUnd wo bleibt die Wirklichkeit?

■ Wenig Italien, viel Schweiz und wackelnde chinesische Hoden

Steve Martin trägt ein marineblaues Golfkäppi, beige Bundfaltenhosen und ein Polohemd mit Anker. Amerikanischer als der US-Komiker kann gar kein Amerikaner im Urlaub aussehen. Und weil er im Urlaub ist, interessiert ihn auch die Kunst nicht allzusehr. Bei den Spaniern gähnt er kurz in einen Raum mit Holzskulpturen hinein, im Gebäude der Belgier nimmt er gar nicht erst die Sonnenbrille ab. Dort sieht man eh nicht viel, weil Ann Veronica Janssens den Raum künstlich zugenebelt hat.

Während man am zweiten Tag der Biennale gut gelaunt und sehr erschöpft über Ungereimtheiten hinwegsieht, macht der italienischen Presse der Beitrag ihres Landes einigermaßen Probleme. Harald Szeemann hat auf eine gesonderte Präsentation Italiens verzichtet und die italienischen KünstlerInnen über den Parcours seiner „dAPERTutto“-Inszenierung verteilt. Prompt war in Zeitungen zu lesen, daß es um die italienische Kunst bei Szeemann nicht gut bestellt sei. Damit der Hausfrieden gewahrt bleibt, hat er nun fünf der zehn eingeladenen ItalienerInnen für den Wettbewerb um den besten Pavillon nominiert. Doch warum sollte die Jury ein Land wählen, das verstreut mit individuellen Arbeiten vertreten ist?

Offenbar hat die Planung Szeemanns Lücken, die sich mit seiner Liebe zur kooperativen Buntheit nicht schönreden lassen. Die Auswahl von sechzehn Chinesen sollte ein Zeichen setzen, woher global der Wind weht. Das Ergebnis ist ernüchternd: Junge Wilde, die Blutflekken auf fotografierte Polöcher tuschen, gallige Statements zur asiatischen Ökonomie und ein hübscher Langhaariger, der nackt auf der chinesischen Mauer stolziert, machen noch keine Kulturrevolution. Aber hübsch anzusehen ist der Junge schon, wie er von unten zwischen die Beine gefilmt mit den Hoden wackelt. Die einzige Arbeit, die Chinas Wandel vom Regime zur Tummelzone des Kapitalismus konsequent umsetzt, stammt von Cai Guo-Qiang. Er hat ein Team zusammengestellt, das als „work in progress“ eine historische Gruppe mit Bauernfiguren aus der Provinz Sezuan rekonstruiert. Die Arbeiterhelden aus ungebranntem Ton sind wie die berühmten Terrakotta-Krieger aus dem Grab des Kaisers Qin Shihuangdi aufgebahrt. Dreimal am Tag hat Cais Mannschaft eine kurze Pause – irgendwann müssen sie ja auch mal Sammler und Museen kontaktieren.

Einen anderen Schwerpunkt hat Szeemann, der doch von Nationen nicht so viel hält, ausgerechnet seinem eigenen Heimatland gewidmet. Zehn Schweizer sind doch ein wenig viel, wenn man die Kunst der Welt versöhnen will. Immerhin ist von Pipilotti Rist eine dezente, fast schwermütige Video-Installation dabei, die über Depressionen, unglückliche Liebe und den Frust der Kindheit philosophiert. Daß Szeemann dem 1998 verstorbenen Dieter Roth einen zentralen Videoraum mit 128 Monitoren gewidmet hat, ist mehr als eine späte Verbeugung vor dem Fluxuskünstler. Roth verkörpert die manische Suche nach universellen Formen, die er stets neu verworfen hat. Die Videos dokumentieren die letzten Monate eines Lebens zwischen Schreibtisch und Werkbank – wir müssen uns Roth als glücklichen Menschen vorstellen.

Auch Thomas Hirschhorns lagerhallengroßes Environment zum internationalen Kriegsgeschehen ist Sisyphosarbeit: Auf unzähligen Stellwänden sammelt er Zeitungsbelege dafür zusammen, wie Weltpolitik sich den Waffengeschäften unterordnet. Natürlich kämpft Hirschhorn gegen Windmühlen an, wenn er amerikanische Wirtschaftsinteressen und den lokalen Widerstand militanter Gruppen gegeneinander aufrechnet. Denn der Presseaufmarsch bei Guerilleros in den mexikanischen Bergen spiegelt sich bei ihm auch bloß in Westmedien wider. Trotzdem macht die Arbeit sichtbar, wie erschreckend gleichgültig in der Kunst Konflikte ästhetisch aufgehoben werden. Mit gefilmten Tränen einer jungen Frau ist den Vergewaltigungen im Kosovo kaum beizukommen. Und daß der Krieg seit vorgestern vorbei ist, hat in den Giardini kaum jemand registriert. Schließlich gab es zu viele Stehempfänge, da vergißt man schon einmal die Wirklichkeit. Harald Fricke

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